th –> t:
Eigenthümlichkeiten –> Eigentümlichkeiten
thut –> tut
Gemüth –> Gemüt
geröthet –> gerötet
Urtheil –> Urteil
ß –> s
dieß –> dies
Verständniß –> Verständnis
Betrübniß –> Betrübnis
Groß- und Kleinschreibung:
Alles –> alles
Nichts –> nichts
Niemand –> niemand
c geändert:
Mysticismus –> Mystizismus
Cameraden –> Kameraden
classische –> kassische
Musiciren –> Musizieren
Carneval –> Karneval
i/ü ausgewechselt:
gleichgiltigen –> gleichgültigen
mustergiltig –> mustergültig
Sprüchwort –> Sprichwort
Hülfe –> Hilfe
i –> ie:
redigirte –> redigierte
studirte –> studierte
nomadisiren –> nomadisieren
Quiken –> Quieken
Musiciren –> Musizieren
Apostroph gestrichen:
lang’ –> lang
in’s –> ins
unter'm –> unterm
Sonstiges:
geläugneten –> geleugneten
Wiederhall –> Widerhall
Zuchtheerde –> Zuchtherde
Schooß –> Schoß
todten –> toten
s. g. –> sog.
Antoni MalczewskiMaria[1]Ukrainische Erzählung in zwei Gesängentłum. Ernst Schroll
Maria
Seiner Excellenz
dem Herrn
Julian Niemcewicz[2]
Eine Freude, wie ich sie lange nicht empfunden
habe, belebt mein Herz in dem Augenblick,
wo es mir erlaubt ist, Ihnen, mein
Herr, durch Zueignung dieser Erzählung öffentlich
meine Bewunderung auszudrücken für
Ihren Charakter sowohl, wie für jene seltene,
mit der Rastlosigkeit des Forschers den Zauber
der Phantasie und die Fülle der Anmut verknüpfende
Gelehrsamkeit, deren vereintes Gepräge
den immer neuen und so schätzbaren
Werken eigen ist, womit Sie die polnische Literatur
unaufhörlich bereichern. Wenn es meinem
Herzen wohltut, daß Sie mir gestatten,
meine Blätter mit Ihrem Namen zu zieren,
so ist dies gewiß kein Wunder, da nicht bloß
mein Gemüt mit innerer Befriedigung sich
in den Verlauf Ihres reinen und wohltätigen
Lebens versenkt, sondern jeder Stammgenosse
so gerne an den reifen Früchten Ihrer
Geistesarbeit seine Seele labt, ja — ich
sage noch mehr, und Niemand wird mich wohl
der Übertreibung beschuldigen — da Ihr Name
jedem jungen Polen eine Reliquie ist, die
er am Herzen trägt; denn noch von unsern
Vätern her wird uns Ihr Ruhm verkündigt,
und in zauberhafter Weise mahnen Sie uns
fortwährend an die Pflicht der Dankbarkeit.
Sie werden freilich in meinen Versen vergebens
die Schönheit suchen, welche Sie den
Ihrigen zu verleihen wissen; bang und einförmig,
wie unser Land und wie mein Gemüt,
werden sie Ihnen nur mit dunkler Farbe
unvollendete Bilder entwerfen: allein wenn
diese Ihrem Verdienste dargebrachte Huldigung
in Ihnen nur irgendwelches angenehme
Gefühl erregt, so werde ich schon für mein
düsteres Gemälde reichlich belohnt sein, sollte
Ihnen dadurch auch nur für einen Augenblick
ins Gedächtnis gerufen werden, wie hoch
Ihre Landsleute Ihre Eigenschaften und Ihre
Leistungen zu schätzen wissen.
Euer Excellenz
untertänigster Diener
Malczewski
Erster Gesang
Es webt sich alles seltsam bunt
Auf diesem armen Erdenrund;
Und wer mit Menschenwitz es alles zu durchdringen dächte,
Der stirbt dahin und nimmer lernt er treffen doch das Rechte.
Jan Kochanowski[3]
1.
1He, du Kosak, wo jagst du hin auf deines Rosses Schwingen?
Sahst etwa einen Hasen du auf jener Steppe springen?
Willst schlürfen im Gedankenspiel der Freiheit süß Behagen
Und mit ukrain'scher
[4] Windesbraut
[5] den kühnen Wettlauf wagen?
5Fliegst du vielleicht zum Liebchen dein, das auf den Fluten harrt,
Und summst vor Ungeduld ein Klagelied
[6] dir in den Bart?
Denn auch die Mütze zogst du tief und lässt die Zügel schießen,
Staubwolken ziehn des Weges nach — lang hingestreckte Riesen;
Dein braunes Antlitz strahlt, als wärs entbrannt von feur'gem Flimmer,
10Und, wie im Moor ein Irrlicht, blitzt auf ihm der Freude Schimmer,
Wenn dein gehorsam Pferd, gleich dir der Wildnis
[7] rauhes Kind,
Durchschneidet mit gestrecktem Hals den lauten Wirbelwind.
Weich aus, du Czernomorer
[8], mit dem knarr'nden Wagen, hei!
Denn diese Steppensöhne
[9] schmettern dir dein Salz
[10] entzwei.
15Du schwarzer Vogel
[11] auch, der du dem Wand'rers grüßend nickst
Und kreisend ihn umschwebst und fragend ihm ins Auge blickst,
Ei, sput' dich und enthülle dem Kosaken dein Geheimnis: —
Eh du den Kreis vollendet hast, sind fort sie ohne Säumnis!
2.
Sie jagen — in der Sonne Strahlen, die sich niederwendet,
20Erscheinen sie wohl Boten gleich, von Himmlischen gesendet —
Und lang und weit vernimmt das Ohr der Hufe lautes Dröhnen;
Denn tiefes Schweigen deckt die Felder, die sich ringsum dehnen.
Nicht frohen Adels, noch der Ritter Stimmen tönen hie —
Der Wind nur, Ähren beugend, rauscht die Trauermelodie;
25Aus Hügeln
[12] seufzt es, unter Rasen klingts wie Grabgestöhne,
Auf welken Kränzen schlafen da des alten Ruhmes Söhne.
Musik so wild — der Text
[13] dazu, er ist noch wildrer Art,
Den alter Polengeist den späten Enkeln aufbewahrt.
Doch ist ein Sträuchlein Ackerrosen alles, was sie ehrt,
30Ach! wessen Herz, ja wessen fühlt von Gram sich nicht verzehrt?
3.
Vorbei ist der Kosak an Schlünden
[14] schon und tiefen Spalten
[15],
Wo Wölfe und Tataren gern sich im Verstecke halten.
Zu einem Kreuz flog er heran, des Hügel allbekannt,
Denn drunter liegt seit lange ein Vampir
[16] verscharrt im Sand.
35Er zog davor die Mütze, kreuzt' sich dreimal ängstlich bang
Und saust mit eil'ger Botschaft sturmesgleich die Stepp entlang.
Das flinke Roß zumal läßt sich durch keinen Zauber bannen,
Es schnaubt nur, stampft vor Ungeduld und eilt sofort von dannen.
Der dunkle Boh zieht Silberstreifen auf Granit
[17] dahin —
40Der treue, mutige Kosak errät des Herren Sinn;
Die Mühle schäumt am Bach, in Weiden saust der böse Feind —
Das muntre, treue Rößlein merkt, wie der Kosak es meint,
Und über Wiesen blumenreich, durch Dornen
[18] scharf und dicht.
Da schlüpfen leichter wohl die flüchtigen Saїga's
[19] nicht;
45Und wie ein Pfeil, gestreckt auf hohem Sattelsitze
[20] liegt
Der lauernde Kosak, der sich ans Pferd behende schmiegt.
Der Wüstenkönig sprengt die unwegsame Wüst entlang
Und Steppe, Pferd, Kosak und Nacht sind nur ein wilder Klang.
O, wer will ihm verwehren auch zu schwärmen hier allein?
50Fort ist er — Niemand holt auf heimatlicher Stepp ihn ein!
4.
Auf, spute dich, Kosak, befohlen ist die Eile dir!
Im alten, hohen Schloß nicht klein ist die Veränd'rung schier.
Der Herr Wojwod, den stets der Meinung Zwiespalt schied vom Sohne,
Pflog lange Rede jetzt mit ihm in huldvoll gnäd'gem Tone.
55Noch kürzlich hatte neuer Hader sie entzweit, gekränkt,
Und jeden Plan zerstört und jede Lust mit Gift getränkt,
Selbst Tränen herb, die glüh'nder Stolz und der Verzweiflung Schmerzen
Dem Sohn erpreßt, sie fanden keinen Weg zum Vaterherzen.
Nun ist's schon anders in dem Schloß: Unmut, Betrübnis schwanden;
60Es glänzet Fürstenprunk, der Ahnen Pracht ist neu erstanden,
Und in der Höflinge und Diener Schwarm, den überreichen,
Und in der Pagen Kreis, der Ritter von des Hauses Zeichen,
Ins große Prunkgemach, das lange war dem Aug entrückt,
Kommt eben jetzt der Herr Wojwod herunter reich geschmückt;
65Und als wetteifernd Jeder laut dies seltne Glück erhob,
Schien er doch mehr vom Sohn entzückt, als durch das eitle Lob!
In seinen ruh'gen Zügen fand man schwer die Spuren heft'gen
Tief inneren Gefühls: die Glieder sah man nur, die kräft'gen,
Der Rede äußern Pomp, des hohen Namens reichen Schimmer;
70Was er im Innern barg, blieb allen nachtbedeckt für immer.
Doch jetzt, ob notgedrängt, ob plötzlich tief bewegt im Herzen,
Bracht er mit Zärtlichkeiten Balsam lang gehegten Schmerzen;
Und als er in der Stille mit dem Sohn Beratung hielt,
Da sah man, wie ein Lächeln um das ernste Antlitz spielt:
75Im Auge blitzte wilder Freude flüchtige Verklärung,
Wie wenn den langgenährten Wünschen endlich wird Erhörung;
Wie wenn von Geistesdrucke, von ermüdend schwerem Laufen
Sich jemand eine Weil erholt, sei's — auf Ameisenhaufen:
Erholet? — ach! er legt vielleicht die glüh'nde Stirn nur nieder,
80Wo tausend Dornenspitzen harren seiner müden Glieder.
5.
In späte Nacht währt' der Tumult im Schloß, der Schritte Dröhnen;
In späte Nacht hört' man Trompeten schmettern, Vivats tönen —
Der prächtigen Gelage alter Brauch kehrt wieder ein:
Die langen Tische funkelten von Gold und Silberschein —
85Und weit geöffnet schien des Herrschers Keller wie sein Herze,
Und alter Ungarwein
[21] entlockte geistreich-witz'ge Scherze.
Zum frohen Lärm stimmt die Musik
[22] die grellen Harmonien,
Zuweilen übertönt sie ihn mit ihren Melodien.
In später Nacht — der Ahnen Bilder mit den strengen Mienen,
90Die an der Wand vereint in langer Reihe hingen, schienen
Manchmal, aus toten Augen Funken sprühend, sich zu regen,
Die Zecher anzulachen und den Schnurrbart zu bewegen.
6.
Lust auf den Lippen wohnt, im Aug die Absicht zu erraten:
Im tiefen, tiefen Herzen nagt der Wurm von bösen Taten.
95Wenn irgend eine Freude Menschen eint zum frohen Feste,
Da lachen Stolz und Schmeichelei auch mit, die falschen Gäste.
So wars wohl auch im alten Schloß. Es hatt bereits die Nacht
Ihr Schattenreich in die geschnitzten Tore eingebracht;
Die Pfeifer waren schon verstummt, das Glück lag schlafumfangen,
100Vom Turm das Käuzchen auch begann den Grabesruf, den bangen:
Nur wo in einem Seitenflügel dort des weiten Baus
Der kräft'ge Wojewod, entflohn dem lärmend frohen Schmaus',
Die scharfen Adleraugen unter falt'ge Lider zwingt, —
Wie man im Schreine
[23] birgt den Stein, mit dem der Hochmut blinkt —
105Hört man noch Schritte dröhnen oder schwere Seufzer schallen,
Die, wenn die Tritte schweigen, von der Wölbung wiederhallen.
Kein Unberufner wagts zu überschreiten jene Schwelle!
Wo einsam brennt sein sonst versteckter Sinn in Flammenhelle,
Mag er verzweifelnd ringen oft mit furchtbarem Ermatten —
110Mit ungestümem Schritt durchwandert er die nächt'gen Schatten,
Als wollt im schwarzen Nebel haschen er die blut'ge Hand
Verratner Freundschaft, oder löschen seiner Qualen Brand.
Und da der Schlaf bestürzt aus glüh'nden Augen war entflohen,
So ward es ihm beklommen bang in dem Gemach, dem hohen;
115Das schmale Fenster öffnet' er, und seine Augen starrten,
Hin auf die Reis'gen, reich an Zahl, die wehenden Standarten,
Die jetzt zum Strauße einberufen hier versammelt waren;
Er lauschte dann dem Kriegslärm und den weckenden Fanfaren.
Die flinken Pferde schnauben, Waffen klirren rege drein;
120Vor Kampfeslust erbrausts in der Husaren dichten Reih'n.
Für sie entsteigt dem Rosenbett am Horizont die Sonne
Und bringt mit ihrer goldnen Haare Glanz wohl eitel Wonne,
Hebt ihre lichte Stirn und schauet mit dem ersten Strahl
Des Auges staunend ihrer Reize Bild im blanken Stahl;
125Für sie nur haucht der duft'ge Zephyr seines Atems Frische
Ins Haar der jungen Mädchen, in der Ritter Federbüsche;
Für sie die Vöglein zwitschern muntern, wundersüßen Sang,
Der tiefempfunden taubenetzten Schnäbeln sich entrang —
Ihm galt es nicht! er mochte nicht verweilen bei der Schau: —
130Die finstere Gestalt entschwand in Schlosses Dämmergrau,
Gleich jenen Schreckgespenstern, die, wie's unsrer Furcht wohl däucht,
In schlafberaubter Nacht erstehn und die der Morgen scheucht.
7.
Man gab das Zeichen: die Trompeten schmettern, Hufe schellen;
Der treue Reitersmann, er schließt dem tapfern Kriegsgesellen
135Sich wie sein Schatten an; so stürzen, rasselnd im Gedränge, —
Sie mit behender Schwenkung durch des goth'schen Tores Enge.
Im langen Echo dröhnt es zitternd an der Wölbung Bogen,
Bis auf dem weichem Grund mit leichtem Tritt die Hufe flogen;
Und leiser, leiser rauschts und schwächer schon, wie fernes Summen,
140Ein dumpfer Schall erreicht das Ohr und flieht, um zu verstummen:
Jetzt erst, auf freiem Feld, als ihren Lichtkreis schon die Sonne
Weithin entströmen ließ, da schwärmen sie in heitrer Wonne
Und baden sich wie Adler in des Lichts lebend'gen Bächen,
Eh mit den bunten Fahnen sie sich Bahn zum Ruhme brechen;
145In Glanz und Farben kleiden sich viel tausend Federn, Steine,
Und in den Waffen glitzern hell viel tausend Irisscheine;
Es sitzt der Sieg in ihrer dunklen Augen wildem Sprühen
Und Mannesmut und Treu in ihren Felsenherzen blühen.
Ein hoher Jüngling reitet an der Spitze dieser Schaaren. —
150Wer ist er denn? — und glüht, beschattet von den blonden Haaren,
Die Wang dem Ruhm, dem Glück entgegen? — Ach, unendlich milder,
Als die Natur in Morgenfrühe malt die ros'gen Bilder,
Und süßer, heller als der Schimmer, der den Ruhm verklärt,
Ist dieser Glanz, der sich auf seines Herzens Herde nährt,
155Das Lächeln, das wohl Teil hat an dem seligen Berauschen
[24],
Womit die Auserwählten Cherubimgesängen lauschen!
Er ritt auf flücht'gem Roß und an der Schluchten
[25] Saum führt' er
Der schweigenden Gefährten Troß in Reih und Glied daher;
Verschwindend in verwachsnem Grund umkreisten sie das Tal
160Und glänzend lugten aus Gebüsch die Köpfe noch einmal;
Am Hügel sah man dann den Jüngling noch befehlend winken,
Und weiter fort den Weg gings dem Kosaken nach, dem flinken,
Des leichte Spuren unbestahlter Hufe niemand fand,
Denn Kindern gleich begruben Luft und Tau sie längst mit Sand.
8.
165Und stille, öde ist die Flur, die Ritter schon verschwunden;
Das Herz bangt ihnen nach, als hätt es den Verlust empfunden.
Der Blick schweift hin im weiten Raum; doch wo er nur mag weilen,
Er trifft nichts Lebendes, kann keinen Ruhepunkt ereilen,
Die Sonne leuchtet schräge auf die ausgedehnte Flur,
170Belebt fast von der Krähe Flug und ihrem Schatten nur:
Zuweilen zirpt im nah'n Gestrüppe
[26] eine Ackergrille;
Nur in den Lüften herrscht ein Zwiespalt — scheint's — sonst dumpfe Stille. —
Wie, ist kein Ahnenmonument im Lande weit und breit,
Das, sanft umstossen vom Gedanken der Vergangenheit,
175Ihm eine Ruhestätt für bangen Fühlens Bürde werde? —
Ach nein, er senke denn den Flug und tauche in die Erde!
Dort wird er alte Waffen finden, die der Rost zerstört,
Gebeine auch — man weiß nicht, wem sie einstens angehört —
Und in der fruchtbar'n Asche dort die Saat, die volle, reiche,
180Wenn nicht — Gewürm, das hauset in noch frischer, blut'ger Leiche!
Doch haltlos irrt er auf der Flur — an Nichts kann er sich ranken
[27] —
Gleich der Verzweiflung ohne Zuflucht, ohne Ziel und Schranken.
9.
Tief sinnend saß der Kronschwertträger
[28] unter alten Linden
Und schwer mocht er auf welkem Haupt der Leiden Wucht empfinden.
185Wie traurig ihm bei grauem Haar der — schwarze Żupan stand —
Einst trug er helle Farben auch im Dienst fürs Vaterland,
Fürs Vaterland, des Nam' im Kriege, wie bei Ratesfragen.
Im Streit bei Reichstagswahlen, wie bei rauschenden Gelagen
Mit reinem Feuer stammte, dem das Hetze, wie zur Sonne
190Im Lenz der Vogel fliegt, entgegenhüpfte voller Wonne —
Jetzt sind die Glanzgefühle schon erblichen, ach, entrückt!
Das Leben schmerzt nur mehr und seine Blume ist geknickt. —
Er sann, und das vergang'ne Leid, den Gram der Gegenwart
Bedeckt der dichte Flor der Schmach, die drohend seiner harrt. —
195Doch, o so lang er atmet nur, wird er so leicht nicht lassen
Des trotz'gen Hochmuts Flammen seinen reinen Herd erfassen!
So lang im schwarzen Żupan noch lebend'ge Glieder sitzen,
Wird auch bei Not in dürrer Hand der alte Säbel blitzen!
Und dann? — Der Kronschwertträger weilt in sinnender Betrachtung;
200Sein stolzer Blick birgt Mißmut, Zorn und auch vielleicht Verachtung.
10.
Und bei ihm sitzt ein junges Weib; warum im Lenz schon bricht
Denn gar so trüb durch Nebel ihrer Schönheit helles Licht?
Nicht Blumen schmücken sie, noch ein Gewand mit Prunkgeschmeide,
Das schwarze Aug ist tief gesenkt, sie selbst im Trauerkleide;
205Im Antlitz dunkelt Gram, die Stirn neigt sich in leiser Bebung
Und deren Widerschein ist nur — das Lächeln der Ergebung.
Wenn irgend plötzlich, wo sonst dichte Schatten sie umfangen
Sei's ein Gedanke, sei's Erinn'rung rötet ihre Wangen,
Ist doch so bleich dies Licht, wie wenn von einem Säulenbild
210Der volle Mond die Züg mit ungewohntem Leben füllt.
Gestalt an Schönheit wie an Adel reich! Ihr Flug, er ging
Zum Kreis der Engel, deren reiner Zauber sie umfing.
Doch herbstlich angeweht vom zehr'nden Hauch der ird'schen Lust,
Verwelkte des Gefühles Knospe früh in ihrer Brust.
215So geht sie ihren Weg gepeitscht von scharfen Sturmesbesen,
Gebannt in schwere Erdenfessel, doch ein Himmelswesen.
Ihr Herz ist ausgebrannt und doch glänzt sie wie Morgenglühen: —
So gleicht sie jenen Früchten
[29], die am toten Meer erblühen,
Die durch Gefahr und Müh, doch reizend schön dem Wandrer winken —
220Er findet Asche drin, und wollte Nektar daraus trinken.
Ein jeder Zug von ihr — so scheint es — hauchet düstre Milde
Und Tränen siehst du nicht, noch Harm in dem umwölkten Bilde.
O nein! vergang'nen Grames Kampf ist da nicht mehr zu sehn,
Doch leicht das stille Grab entschwund'ner Hoffnung zu erspähn;
225Des Glückes Ampel, die in ihren Augen einst gefunkelt,
Hat im Erlöschen düsternd ganz ihr Angesicht verdunkelt.
11.
So saß das junge Weib im Buch des Lebens ganz verloren,
Ihr Geist schwang gläubig sich empor zu hellen Himmelstoren,
Geschreckter Taube gleich, die zitternd mit dem Flügelpaar
230Fern von der Erde sucht ihr Nest im Ätherklar.
Und weil dort oben über Erdenpracht und Außenscheine
Der Demut weiße Schwingen glänzen in weit hell'rer Reine
[30],
Die Saite bebt, die an den Himmel hält das Herz gebunden:
So fiel es auch wie Tropfen süßen Taus in ihre Wunden.
235Und als mit jener Rührung sie das Aug nach oben kehrt
Wo alles Fühlens Kraft in einer Miene sich verklärt,
Wo Zukunft zur Vergangenheit auf hellem Strahl sich schwingt
Und wie mit Schwesterherzen sie in einem Blick umschlingt:
Da erst erkannte sie, wie wohl es tut dem edlen Herzen,
240Das ob verlor'nen Glücks im Irrsal wandelt seiner Schmerzen
Und längst gestorben ist für Erdenfurcht und Erdenlust,
Wenn Sehnsucht hin zu seinem ew'gen Ursprung schwellt die Brust!
Wie süß es ist, dem Wirrwarr dieser Welt sich zu entwinden
Und dann auf immer in des Todes Armen zu verschwinden!
245Und wer alsdann gescheit hätt ihr Antlitz strahlenreich
Und auch den seelenreinen Kronschwertträger kummerbleich —
Die sparrig äst'gen Linden und die Trachten so uralt,
Den Schnitt so reizend schön, wie gern die Phantasie ihn malt;
Und wer da noch gesehen hätt wie Glanz und Düfte ringen
250Um ihre Schläfe, ach! behend den Märtyrkranz zu schlingen:
Der hätte sich vielleicht versetzt ins grau'ste Altertum,
In Gegenden voll Glanz, in ferne Länder voll von Ruhm,
Der säß wohl an des Jordans Ufern unter Palmenhainen,
Mit dem Geschlechte Israels zu sinnen und zu weinen,
255Und hätt im heil'gen Schauer mitempfund'nen Wehs erkannt
Dieselbe ewige und unbegreiflich hohe Hand,
Die Hand, die Huld und Strafe, wie den Gram, den immergleichen,
Herniederschickt und wendet dem, der trägt des Kain Zeichen,
Dem Menschen, der im Glücke selbst zum Glück noch Etwas braucht
260Und dem's erst wohl — wenn er den letzten Seufzer aufwärts haucht.
12.
«Zu lange, Vater! hat in lieblicher Gedanken Kreisen
Mein Geist sich heut verirrt; doch von des Grames dunklen Gleisen
Seh ich noch immer, immer deine trübe Stirn durchzogen,
Und wenn dir — kaum die Freude winkt, sofort ist sie entflogen,
265Dem Strahl aus Wolken gleich, der niederglänzt auf Bergeshöhen,
Und den die Wolke wieder birgt, wenn Stürme jagend wehen.
Warum, ach! will nicht ruhen mehr dein Haupt mit weißen Locken
Hier auf dem Schoß? O fürchte nichts! Des Kummers Bett ist trocken;
Nicht mehr wie sonst erwachst du jetzt von Tochtertränen naß,
270Wenn ich, den Schlafenden im Arm, zu Dir gebeuget saß.
O grauses Spiel des Unglücks! Ein so ganz vergilbtes Reis
Gab seinem alten Eichenstamm mit krankem Safte Speis
[31],
Und das Gefühl hat, unter langem Drucke eingeschlossen,
Durchbrechend der Erwägung Damm in Strömen sich ergossen.
275Wie schmerzlich ist es, ach! zurück zu schau'n, und doch zurück
Nicht können, wo Verzweiflung lauernd sitzt mit hohlem Blick!
Wie grausam, ach! dem Zwang gehorchend, mit denselben Händen
Die gern Arznei darreichen wollten, tötlich Gift zu spenden!
O Vater! du mein teurer Vater! soll die Tochter dein
280Dir nie, nicht einen Augenblick mehr Trost und Labsal sein?
Ihr Los war bitter; doch das alles ist schon längst verflossen. —
O, sieh, welch süßes Licht hat jetzt sich über mich ergossen!
Viel heit'rer eilt, als sonst, das Lächeln über meine Wangen
Und deins zu wecken, wie dereinst im Glück, ist sein Verlangen.
285Wie oft entsinn ich mich doch jener schönen Jugendzeit,
Der flücht'gen, und des Väterchens, wie es voll Düsterkeit
Zuweilen nach der schweren Arbeit auszuruhen pflegte
Und wie dann flugs im kleinen Mädchen sich die Freude regte,
Die nun auch ihm ins Herze drang so unvermerkt, allmählich,
290Bis endlich er, von ihr verklärt, anhob zu lächeln selig.
O sag mir doch, wo diese Macht des kleinen Mädchens blieb?
Sie führt die Wolken jetzt herbei, die früher sie vertrieb!
Wohin entfloß der muntre, reine Bach voll Flüchtigkeit?
Im See verlor er sich wohl zürnend seiner Nichtigkeit.
295Und wo flog unser Vöglein hin? Es wollte sein Gefieder
In Feuersglut vergolden wohl, und nimmer kehrt es wieder.
So lange Der, der ewig meinem Herzen eigen war,
Noch eh ich ihn den Meinen nannte vor dem Traualtar;
So lange Der, mit welchem im Gefühl mich zu verweben,
300Zu schwärmen im Gedankenflug, in Seufzern zu entschweben,
In dessen Blick zu fühlen mich als Licht und Lebensgrund,
Weit mehr als Glück mir galt, da mir der Himmel offen stund;
Der, welcher meines rührend schönen Traumes Knosp erschloß
Mit seiner Anmut und den Schlaf verscheucht' aus ihrem Schoß,
305Von ihrem frischen Taue trank und auf der Blätter Kleid
Des Dankes Träne legt, die unberührt bleibt von der Zeit;
So lange er, der mein Geliebter, meiner Seele Welt,
Des Bundes Kette, die uns knüpft, verächtlich nicht zerschellt,
Der Tugend, der Erinnerung, der Lieb die Treue hält,
310Treu auf den Trümmern noch, wenn der Pallast des Glücks zerfällt: —
So lang wird auch für mich des Lebens Pforte sich nicht schließen,
So lang wird sein Gedanke noch zu mir herüberfließen
— Ob er selbst fern — geheim in meines Herzens starre Falten
Und es wie Wunderbalsam dem Verderben vorenthalten.
315Auch dieses grause Opfer, auch der Trennung herbe Leiden
Ich werd sie tragen mit Geduld, bis unsre Schatten scheiden
In lieblich reine Lande dort, wo ewig sie verbunden
Zwar Menschen nicht erschaun, doch an des Himmels Gnad gefunden.»
Sie sprachs, und wie im See die helle Flut
[32] nach oben dringt,
320Wenn plötzlich aufgewühlter trüber Satz zu Boden sinkt:
Entstiegen ihrem Herzen die Gefühle tränenreich
Und warfen grünlich dunkle Schatten auf ihr Wangenbleich. —
«Beim bärt'gen Türken lieber ich die Ketten schleppen wollte,
Als daß so jammervoll die Tochter hin mir welken sollte!
325Im finstern Turm harrt lieber ich gewisser Todesstunde,
Als daß ich müßig zusäh diesem trauervollen Bunde!
Wie? oder fehlts in unserm Polenland an Rittern ganz
Die vor den Jungfraun leuchteten in frischem Jugendglanz
Und die im Leben einmal, wies sonst Sitte war zu minnen,
330Ihr Knie nur beugten, um den Kranz als Mitgift zu gewinnen?
Mußt seufzen nicht, Marie! da ich den Mann dir nicht verletze,
Der tapfer ist und tugendhaft, du weißt wie ich ihn schätze.
Doch seines Vaters Hochmut treibt mit meiner Langmut Scherz; —
Und will er an Mariens Tränen laben nur sein Herz —
335Ha! dann birgt auch mein Schwert nicht fruchtlos mehr den Glanz im Dunkeln
Und mit dem Heil'genbilde
[33] solls ihm vor den Augen funkeln!
Denn das ist ja ein Vorrecht alt, das unser Adel übt,
Dem Pallasch Funken zu entlocken, wenn sich Freundschaft trübt.
Freundschaft? — Feind aus dem Reichstag sind sich unsere Partei'n
340Und selbst im Waffenstillstand schrein wir unser Veto drein!
Und wenn mich damals mit dem Hetman der Vertrag nicht band,
Dem Schweden auf das Fell zu gehn beim Angriff auf das Land;
Wenn deine Mutter nicht — o Herr, schenk ihr des Himmels Gut!
In ihre Schleier barg der jungen Herzen Liebesglut,
345Nach Frauenart gelockt von Heimlichkeit und Flittertand
Samt dem Matronenschwarm geschlossen hätte dieses Band:
Nie konnts dem Feind in meinen Marken sich zu bergen glücken,
Auch hätt ich nie, ja nie gewähren lassen seine Tücken.
Denn sag, wie traf ichs an? Vom Tod gemäht war meine Frau,
350Die Tochter — meinen einz'gen Sproß — netzt mir der Tränen Tau.
Dem alten Degen scheinen diese Wunder viel zu groß,
Solch schwere Schläge zu ertragen, ein so schimpflich Los.
Hat er denn nur ein einzig Mal mein Kind ans Herz gedrückt?
Hat Jugend, Anmut einmal wohl mit Rührung ihn entzückt? —
355Verächtlich, nein jagt' er dich fort von Haus und Ehgemach;
Vom Namen selbst, und sucht in Rom des Bundes Lösung nach.
O immer besser wirds, auch mich entbindets aller Pflicht,
Die muntre Jugend stürmt hinaus zu folgen säum ich nicht.
Ob schwächer auch an Zahl — wir rufen Gott an um Gelingen,
360Und hat der Streit ein Ende, werden hell die Glocken klingen.» —
Die matte Stirne trocknend drückt die Mütze tiefer er.
Es sinkt die Hand, es sinkt das Haupt, von Nachtgedanken schwer.
13.
Am Torweg scharrt das Roß, im Dorf die Hunde schlagen an —
Woher kommt der Kosak gesprengt auf staubumhüllter Bahn?
365Er sitzet ab, und auf den Zaun wirft er die Zügel leicht,
Eintretend in den großen Hof er noch den Schnurrbart streicht.
Auf braunem Antlitz las man noch die Spuren rauher Stunden;
Ganz schlicht war die Verbeugung und der Gruß kurz angebunden.
Jedoch verschieden scheint er von der andren Diener Troß —
370Ein Untertan, erbt er doch Freiheit
[34] aus des Vaters Schoß.
Und als er stolzen Blicks begehrt, daß man zum Herrn ihn führe,
So scheint’s, als ob der ganze Schwarm zum Herrscher ihn erküre.
Geschmeidig wendet er sich um und leichter ist sein Schritt,
Von Steppenluft durchweht bringt er gelenke Glieder mit;
375Und wie er sich bewegt, die Schaffellmütze
[35] winkt und nickt
Wie eine Fahne, die in roten Flammen ist gestickt.
Durch Unkraut ging's, durch Dickicht zu des Schanzengrabens Linden,
Die Schirm und Schreck zugleich dem atmen, hör'gen Bauer künden,
Bis er beim Kronschwertträger angelangt ist mit dem Troß
380Und nach dem Reiter bang wie nach der Mutter wieh'rt das Roß.
«Hast du ein Schreiben?» — «Ja. Ich hätt es gestern noch gebracht
Vorm Hahnschrei, Herr! denn sausend pfiff ich durch die Nacht:
Allein da trieb der Teufel auf der Steppe seinen Spuk —
Gott schirme Euch und Ihre Gnaden vor des Bösen Trug.»
385«Daß du dich mit dem Brief verspätet, schlimmer ist's zu nennen!
Sprich, weß Kosaken Teufel oder Menschen schrecken können?» —
«Ist Euch denn nicht der Ruhm der schönen Mützen da bekannt
Von angestammter Treu? — Graf Waclaw hat mich hergesandt.»
Der Alte liest; doch aus Mariens Blick strömt, neu erwacht,
390Nicht leere Neugier, nein! — das Leben in der höchsten Macht;
Ihr Busen hebt sich wallend wie die leichten Meereswellen,
Die sie zum Glücke tragen oder auch im Sturm zerschellen;
Des Herzens Riegel weicht, in Flammen steht ihr Angesicht,
Doch spielt im schönen Glanz ein unnatürlich, krankhaft Licht.
395«He, sorgt für den Kosaken und das Pferd, rasch auf!
Ich schreib sofort die Antwort auf den Brief; du wartest drauf.»
Der Worte lautem Donner horcht er nur mit taubem Ohre,
Mit Rührung blickt er in der schönen Augen schwarze Tore,
Beugt tief sich dann vor Beiden und — was immer mag geschehn,
400Abtretend mit dem Trosse schwätzt er heiter noch im Gehn.
14.
«Lös Jemand mir das Rätsel doch! Ist's nicht Verrätertück
So kündet dies Marien in ihrem Elend großes Glück.
Da schreibt mir der Wojwod in zuckersüßem Redeprunk:
Vergessen sei fortan gemeinsame Beleidigung;
405Die Sünden reuten ihn. Zuneigung zärtlich spricht er aus
Für seine Schwiegertochter, ladet sie sogar ins Haus.
Noch mehr! Solch einer Heirat sei, wie seine Worte klingen,
Der Sohn nicht wert, denn durch Verdienst müß man das Glück erringen!
Er wünsche deshalb, daß sein Sohn zuvor in Kriegsbeschwerde
410Durch irgend eine Heldentat ganz deiner würdig werde;
Und da in dieser Gegend eben die Tataren wüten,
Soll er zum Kampf sich stellen, deiner Reize Glanz zu hüten,
Damit den Lorbeer auf der Mütze, er den Ruhm gewönne
Vor aller Welt, daß, wenn er liebt, er auch erretten könne!
415Heut soll er mit dem Heere hier vorüberziehen» — «Heute?
Ich werd ihn sehn? O Gott, wie pocht das Herz! o welche Freude!
Allein wozu die Schlachten? Kann man nicht im Flug gewahren,
Daß Edelsinn und Kühnheit sich in seinen Zügen paaren?» —
«Sind Menschen doch, wie der Wojwode, eine Seltenheit:
420Er selbst bekennt die Schuld! Und dennoch trag ich um dich Leid!» —
«O Vater! ich bin blaß, der Schreck vor mir wird ihn durchwühlen,
Er wird vielleicht sich sehr gekränkt, vielleicht beleidigt fühlen;
Ich muß mich doch ein wenig schmücken, solltest du nicht meinen?
Ich möchte als die Schönste in der Welt ihm gern erscheinen!» —
425«Geduld, Geduld! Du fängst den Hecht nicht vor dem Netz; vielleicht
Gibt's hier ein Spiel noch aufzuspielen, das uns seltsam däucht!
Wünsch ich doch selbst ja den Tatar zu jagen aus den Gauen!
Wozu sitz ich denn hier? nur immer rückwärts geht mein Schauen.
Sehn wir die Reiter erst! Ich kanns nicht aus dem Kopfe bringen;
430Ein Fallstrick ist's, der Wojewod legt uns geheime Schlingen.» —
Allein schon bringt die Luft Trompetenschall, ein schmetternd Tönen;
Man hört von Ferne Waffen klirren und die Erde dröhnen.
Schon standen ein'ge Ritter an dem Tore, die dem Zuge,
Der ganz gemächlich trabt' vorangeeilt im raschen Fluge.
435«Waclaw!» Maria ruft, und schneller als der Pfeil vom Bogen
War die Gestalt in Flor gehüllt an seine Brust geflogen.
15.
O wie lebendig, o wie schön umstrahlt des Glückes Prangen
Die edlen jugendlichen Stirnen und die holden Wangen!
Wie spielt des Jünglings große Seele in dem heitren Blick,
440Wie gar so herrlich glänzt sein anmutvolles Herz zurück!
Und auf dem klaren Wellenspiegel strömend reicher Lust
Da wiegt in Paradiesesträume Hoffnung seine Brust;
Voll Mut, erhaben, lieblich nach dem Sturm, der sich verzogen,
Verkündet ihm der Zukunft ros'gen Glanz ein Regenbogen.
445Welch süße Wollust jeder Pulsschlag ihm entgegenbringt!
Wie er des Lebens einz'gen Reiz mit durst'gem Arm umschlingt
Und stolz besorgt den Busen, der vor Rührung zitternd fliegt,
Im Schutze still geheimer Zärtlichkeit in Ruhe wiegt! —
Fort goldbetreßter Troßknecht, fort mit deinem mut'gen Pferde,
450Damit der Liebe flücht'ger Vogel nicht verscheuchet werde!
Und du, mein Kronschwertträger, ruhe aus, ich rats dir, Held!
Dem Aug entrollet eine Trän, die auf den Schnurrbart fällt.
Erweckt vielleicht der Kampf schon jetzt in dir ein leises Grauen?
Ach, und Marie? Maria wandelt auf des Glückes Auen
455Im Glück der Weiber, deren Wonnestunden gleich wie Sterne
Am heitren Himmel stehn, indes der Donner grollet in der Ferne.
16.
«Nun mein Herr Eidam!» sprach der Alte auf den Lindensitzen,
Wobei vor Herzensfreude ihm die feuchten Augen blitzen,
«In dieser wilden Welt, ich sehs, regiert der Wind die Freude,
460Denn kaum erlangt man den Willkomm, ists Not auch, daß man scheide.
Für diesmal nicht auf lang; wir werden feste stehn wie Mauern,
Ich sammle gleichfalls meine Schar, so wirds nicht lange dauern.
Ein Sprichwort sagt: Des Ritters Pflicht ist hart, insonderheit
Wenn ihm die Liebe schelmisch guckt aus seinem Panzerkleid.
465Allein nach kurzer Kampfeshitze winken ruh'ge Muße
Und, von Gefahren fern, die frohen Schmäuse zum Genusse.
Sobald solch liebe Gäste mich beehren dann im Haus
Und Becher klingen lassen, ists auch mit dem Fasten aus.
Da mag Maria unterdessen sich geschäftig sputen:
470An reich besetzten Tischen werde nicht der Würze
[36] Gluten,
Nicht Pfeffer, Lorbeer, Ingwer, Safran und Citrat geschont,
Denn dieser schöne Herr ist selt'ne Leckerfrucht gewohnt.
Den Wein besorg ich selbst; und wenn die Sonn in jenem Teiche
Ihr holdes Segensleben niedersenkt, das strahlenreiche,
475Und meine Plane nicht mit trügerischem Scheine blinken:
Dann wird der Tatar Tau, und ich aufs Wohl des Eidams trinken!
Für jetzt jedoch gehabt euch wohl! Nach schwerem Leidgeschick
Erblühet aus der Tugend Pfad noch schöner unser Glück.
Ich teil dem Volk die Rüstung aus, auch kleid ich selbst mich an
480Und schmettern die Trompeten erst, hurtig zu Pferde dann!»
17.
Er ging. — Am blanken kalten Arm des Ritters lehnt ermattet
Ein schönes blasses Angesicht, vom Helmbusch sanft beschattet;
Die schwarzen Zöpfe klingen an, der Panzer preßt ja nicht
Den schlanken Leib, ob ihn auch eh'rnen Armes Band umflicht.
485Das Kleid ist stählern, denn auf falsche Freundschaft ist's gefaßt,
Doch schön das Herz, drum hält auf Waffen hier die Liebe Rast.
Wie glitt sein Blick gefühlestrunken von der Wangen Glut
Auf die Gestalt, die reizend unter Trauerwolken ruht,
Als zählt die Reize er! als ob er immer noch nicht glaubte,
490Daß ihm die Zeit von seinem Schatze Nichts, ja gar Nichts raubte.
Nein, dieses Auges Zauberglanz, der Seele Wiederschein
Ist unvergänglich, und ihn löscht der dunkle Tod allein.
Doch als den Flor der Ritter dann bemerkt, die düstre Freude,
Die ob der Blässe greller noch erschien im Trauerkleide,
495Das süße Lächeln auch, den ganzen Reiz von Schmerz und Sehnen,
Auf reinem Wangenspiegel Flecken selbst, die Spur der Tränen:
Da ward sein Glück auch rasch umwölkt, er fühlts, die Kraft vergeht,
Und bleicher ist er als die Feder, die vom Helme weht.
«Als ich auf Steppen und in wild'rer Wüste der Gedanken
500Noch schwärmte gern, bis Erd und Lust in Dämmergrau versanken;
Als nirgends mir ein Stern beleuchtete des Pfades Graus,
Durch Sturm und Hagel nur das Pferd den Weg erkämpft nach Haus:
Erschienst du mir, Marie! und in des Geistes Abendgrauen
Da zeigte mir dein Licht den hellen Weg zu Himmelsauen.
505Wie glücklich, dankbar, stolz bin ich, daß aus der Freier Schwarm
Mich dein Gefühl erkor, zu stützen diesen schönen Arm!
Wie selig, daß im Herzen dein ich durch der Augen Tau
Der Engel heimlich tiefes Leben und Gefühl erschau!
Doch weshalb deckt der Trauer Nebel, dessen schweren Hauch
510Ich eingesogen, dich, ja dich mit seinem Schatten auch?
Warum wächst nicht des Lebens spitzer Dorn in mich allein,
Dir seines kurzen Lenzes matten Blütenduft zu weihn?
Auch mir hat alles man entrissen, mehr, weit mehr als dir:
Du bist des Himmels Eigentum, ich irrt im Grabe hier!
515Des Lichts verlustig hätte ich, vom schwarzen Geist getrieben,
Die Heiligtümer selbst zerstört mit fürchterlichen Hieben.
Nicht heilsam ists, sich mit dem Herrn Wojwoden sehr zu necken,
Und ist einmal das Schwert gezückt, ziemts nicht es einzustecken.
Da hätte weit umher der Väter altes Schloß geraucht,
520Und mancher Blutsfreund in verwandtes Blut den Stahl getaucht!
Rauch, Manen — hätten mich wie Rachegeister stets begleitet,
Ich hätte dich — allein durch Flammen nur und Blut erbeutet!
O, zittre nicht! dies war vorbei, als ich dich wiedersah,
Ja früher noch. Als mirs bezeugte seines Mundes Ja
525Daß mein du bist, versöhnte mich so sehr des Wortes Klang,
Als hätte Niemand mir ein Leids getan mein Lebelang.
Da griff ich nach dem Schwert, des Glanz ich nicht aus Eigennutz
Entblöße, sondern dir und unsrem Vaterland zum Schutz;
Da sattelt ich mein Pferd, das oft im Fluge diese Stege
530Mich hergetragen hat. Wie glücklich war ich auf dem Wege!
Mit welcher Freude fiel mein Blick auf diese Linden, ach,
Wie feurig sehnte sich das Herz nach ihrem kühlen Dach!
Du weißt nicht, denn dir ist verliehn das stille Naß der Tränen,
Wie schwer's dem Manne sei zu beugen wilden Herzens Sehnen:
535Nach Liebe dürstend, darbend all der Reize zu gedenken,
In welche gern die Seele möcht ihr eignes Sein versenken: —
Marie, bist du nicht krank? Seh ich dich an, so kommts mit vor
Als wolltest du schon jetzt entschweben zu der Engel Chor;
Und ob ich mit dir kose, neu erwacht die Marter doch;
540Ja dich zu fragen drängt es mich: Marie, liebst du mich noch?» —
«Ob dich Maria liebt? mein teures, mein geliebtes Haupt!
Mehr, als die Kraft vermag, mehr, als zu lieben ist erlaubt,
Mehr als das schwache Herz, das volle G'nüge schon gewann,
An Freud — so hoher, unverhoffter — noch ertragen kann.
545Und wenn nicht die Tataren blitzend mir vor Augen irrten
Und wenn nicht ihre Pfeile mir schon vor dem Ohre schwirrten:
Wie leicht wär mir, wie süß, wie wär ich aller Not enthoben,
Als flöge ich in deinem Arm zum Himmel auf da droben!
Ob dich Maria liebt? — O, frage doch ihr Schattenbild,
550Was ohne deinen Blick die ganze Welt Marien gilt,
Ja, ohne dein zu denken selbst die Welt, die jenseits quillt?
Oft saß ich über diesem Buch, den Sinn in mich verschlossen,
Und vor des Schöpfers Macht in ganzer Demut hingegossen,
Da wollt ich durch Gebetes Kraft dein Bild in mir verwischen:
555Gleich tönt es mir als wie ein Echo deines Grams dazwischen!
Vielleicht bestraft noch der Allmächt'ge solcher Liebe Glut,
Und ein Tatarenpfeil taucht sich in deines Herzens Blut.
Siehst du, wie durch des Laubs Gewebe jener Strahl, der helle,
Hier zwischen unsre Häupter zitternd drängt die Glanzeswelle?
560Der Strahl belebt, erfreut und schmückt jedwedes Auge doch:
Warum will er, da wir verbunden schon, uns trennen noch?
Umsonst, umsonst, mein Lieber! Ob auch Lipp an Lippe hängt,
Sieh, wie er mit dem Laub sich neigt und zwischen uns sich drängt!
Erinnere, mein Teurer, dich im heißen Waffentanz,
565Wie auch beim Siegeslärm, daß deines Ruhmes Strahlenkranz,
Mag er, der Sonn am Himmel gleich, jetzt rein und schön erblühn,
Die Nacht vielleicht herniederwinkt mit ihrem Abendglühn!
Begrüb sie doch im Schoß der Finsternis zuerst Marien!
Nicht wahr, mein Waclaw, du wirst tapfer, mannhaft in den Schlachten,
570Ausdauernd, tatenkräftig sein, doch Vorsicht nicht verachten?
Und wenn mein gramgehöltes Aug sich erst versenken kann
Ins eigne Sein, um neu sein Leben zu entfalten dann,
Das Herz vom Druck aufatmet an der Brust, vom Stahle bloß:
Wird Waclaw auch vielleicht beklagen nicht sein Liebeslos.
575An deiner Freude mich zu freun, dein Leiden sanft zu stillen,
An nichts zu denken, als wie ich erfülle deinen Willen,
Der Trost zu sein für deine Stunden, manchmal auch die Zier,
Für dich, in dir zu leben und zu sterben dann vor dir
Und in dem letzten Augenblick, ob auch im Drang der Qualen,
580Mit halb erloschnem Blick das Glück ins Auge dir zu strahlen;
Wenns nicht vergönnt: mit dir, zu leben doch dir im Gedächtnis —
Das ist Mariens ganze Lieb und dieses — ihr Vermächtnis.
Sobald du glücklich wiederkehrst, stimm ich die Harfe mein,
Da setzen wir uns beide in des Mondes Silberschein
585Und eignen, wie du's liebst, auf zarter Klagelieder Schwingen
Uns dann Gefühle an, wie niemand sie vermocht zu singen. — —
Ha! gräßlich drang wehmütiger Trompetenschall zu mir! —
Verlass mich nicht von Neuem; ach! nimm mich, nimm mich mit dir!»
18.
Sie stürzt an seine teure Brust und ängstlich preßt der Schmerz
590Den schlanken Leib so heftig zitternd an des Gatten Herz,
Die Ohnmacht färbt so fahl die Wangen und so innig warm
Drängt an den holden, süßen Busen ihn der schöne Arm,
Daß, als er sich so tränenreichem Kuß entziehen wollte,
Ein Weh ihn faßt, wie wenn er sie vom Herzen reißen sollte.
595Zu bleiben war unmöglich: nein! er spräch der Ehre Hohn
Und gäb die Liebe sonst der Schande preis zum bittern Lohn.
Und doch, wie tief, wie düster sind die Leiden, die ihn quälen!
Kann die Verzweiflung seines Weibes wohl den Mut ihm stählen?
Gleich schwer ists, allen ihren Reizen Lebewohl zu sagen,
600Wie jetzt mit Ächzen tatenlos die Trennung zu vertagen.
Des Ruhms Drommete ruft, der greise Führer harrt auf ihn;
Die weh'nden Fahnen rauschen, und der Sieg will schon entfliehn!
Er legt die Teure hin, sein Auge blitzt in wildem Brand,
Er drückt an seine Lippen noch die weiße matte Hand,
605Als wollte er in diese lieblich zarte Bucht der Minne
Einsenken alles Fühlens Kraft im Aufruhr seiner Sinne.
Fort war er, nahm den Frieden mit; dem spähend wachen Blick
Trat Schritt um Schritt die hohe, leuchtende Gestalt zurück.
Schon saß an der verlass'nen Stelle jetzt schwermütig, bleich
610Die Einsamkeit, die seufzend weckt der Stille ödes Reich,
Und auf der Wüstenei des Glücks war schnell emporgeschossen
Der Gram und nährt aus wurmdurchnagtem Mark die dorn'gen Sprossen.
19.
Aufs feur'ge Roß sich schwingend, doch das Auge kummernaß,
Der junge Waclaw mit dem ersten Sprung im Sattel saß.
615Auch er schwang sich aufs feurige Roß, doch heiter blickt der Greis,
Und tummelte voll Ungestüm es rund herum im Kreis.
Posaunen schmettern hinter ihnen; hinter ihnen fleucht
Der Ritterhauf' wie Vögel, von der Erde aufgescheucht.
Voran des Adels Jugend sprengt — ha, gegen die Tataren!
620Das Heer es wälzt sich nach: die Reis'gen
[37] wohlgereiht, Husaren,
Gepanzerte, und ihnen nach Kosaken rasch im Flug;
Troßbuben scheue Rosse tummelnd schließen dann den Zug. —
Sieh unterm Strohdach nur hervor, du Kind so trotzig wild,
Der Krieger Anblick er entlocke dir ein Lächeln mild;
625Vielleicht, vielleicht, daß bald der Krieg solch wilde Früchte pflückt!
Du Mutter auch, die grüßend nickt, leb wohl, von Ruh beglückt.
Nicht ängst'ge dich vor Waffenklang und nicht vor langen Speeren,
Der Pole löscht des Auges brennend Feuer gern mit Zähren. —
Nur Staub noch weht im Dorfe; Rossestampfen und Geklirre
630Dröhnt noch erzitternd an das Ohr und macht es taub und wirre.
Im Dorf der Staub sich niedersenkt, nur abgerissen klingen
Von weitem Kriegeshörner her auf flücht'ger Töne Schwingen.
Und still ists, wie wenn leis der Tod aufs Herze drückt sein Bildnis,
Und traurig bang, wie in Mariens Seele — eine Wildnis.
635Sie richtet die anmutige Gestalt empor, empor —
Nichts war zu sehn, der Wind jagt nur der grauen Wolken Chor.
Sie beugt die Knie, faltet zum Gebete fromm die Hände;
Dem Auge, das zum Himmel starrt, entperlt des Schmerzes Spende.
Und still, wie das Gebet in Gottes Schoß entströmend mündet,
640Und öde, traurig, bange ists wie wenn das Glück entschwindet.
Zweiter Gesang[38]
On Conrad's stricken soul exhaustion prest,
And stupor almost lulled it into rest.
Byron
1.
«Die Steppenblume üppig sprießt und stirbt doch einsam bang,
Vergeblich schweift das Auge weit die Ebene entlang.
Willst du den Gram versüßen dir, den du nicht kannst zerstören —
Du siehst nur Wolkenhimmel auf der Flur und herbe Beeren.
645Geh lieber in der Myrthen und Cypressen schönes Land,
Wo Tag um Tag die Sonn ersteht im freundlichen Gewand;
Geh hin wo klarer sieht das Aug in heller reiner Luft,
Wo süßer aller Stimmen Klang und wollüst'ger der Duft;
Hin wo der Lorbeer sprießt und ewig schön der Himmel lacht,
650Die Erde farbig glänzt, der Geist in heitrer Muße wacht;
Wo auf Pallästen hehr die Männer stehn der alten Zeit
Weiß angetan, und stolz auf ihrer Namen Herrlichkeit
Dich aus der Ferne laden in die zaubrischen Ruinen
Der Götter und Heroen Wohnsitz einst, und jetzt — der Spinnen.
655Wenn du des Altertums in tiefster Seele gern gedenkst —
Vielleicht, so du dein Auge in das schöne Blau versenkst,
Findst du dort Trost in der Verzweiflung, Wonne in der Trauer,
Geliebten Mundes Lächeln gleich bei kaltem Todesschauer.
Doch geh nicht auf die Steppe, ist das Herz dir weh und wund;
660Grabhügel — weiter nichts blieb auf der kahlen Fläche und
Den Rest hat der ukrain'sche Wind verwehet aus dem Grunde —
Bleib du daheim und horch der schwermütgen Kosakenkunde.» —
«Sag, Bürschchen du, mein junges Blut, wohin du wandernd gehst?
Kehrst du aus heil'gem Land zurück, daß du so seufzend flehst?»
665«O nein, ich bin in meinem Vaterland fremd jedem Blick
Und schwarze Narben ließ der Tod in meiner Brust zurück,
Ich hab gezehrt vom bittern, giftgetränkten Brot der Welt:
Das drückt mein Herz und einsam fließen Tränen ungezählt,
Und lach ich überlaut, klingts doch, als sollt ich mich kastei'n,
670Und wenn ich singen werde, wirds 'ne düstre Weise sein.
Mein welkes Antlitz ist der Blässe Heimat nur geblieben,
Und aus der Seele Wildnis längst die Freude mir vertrieben.
Mein Schutzgeist winkt — ich seh das Grab im Himmelslichte glühn.»
«Was suchst du also, Knabe?» — «Der Verzweiflung zu entfliehn!»
2.
675So stand das junge Knäblein; unterm Zaune blieb es stehn;
Man ließ den Schmerz, beachtet kaum, in Klagen sich ergehn.
Und jener, der so eben mit ihm sprach, ans Tor gelehnt,
Starrt nach der andern Seite hin, die Lider weit gedehnt,
Von wo in Trachten bunt gefärbt, mit lärmendem Geschrei
680Ein Schwarm von Masken völlig unerwartet kam herbei.
I
«Kennst du Venedigs Karneval
Bei Tag und Nacht ohn Gleichen
An Lustbarkeit und tollen Streichen?
Die Maske birgt das Angesicht, und wen die Neugier drängt
685Zu fragen was ihn kümmert nicht, hei, heisa! den empfängt
Lärm und Gelächterschwall.
So lebhaft, von Lust durchsprüht,
So heimlich, von Lieb erglüht,
Der Doge mit faltiger Stirne, Arl'chino mit Wangen wie Rosen,
690Die muntere, stattliche Dirne — sie kommen zu tändeln zu kosen,
Matronen …., die Gauner all —
Um Freiheit zu losen.
Schwarz, dunkeln auf Wogen.
695Lärm und Gelächterschwall —
Kennst du Venedig's Karneval?«
II
«Jetzt bringen wir den Fastnachtsschwarm
Bei Tag und Nacht ohn Gleichen
An Lustbarkeit und tollen Streichen!
700Die Maske hüllet unsre Wang, und wer sich noch erkühnt
Zu fragen nach Geburt und Rang, hei! dem als Antwort dient
Gelächter und Alarm.
Ein herzlicher Freudenchor
Eröffnet des Hauses Tor;
705Da stürmen hinein dann in Paaren die schmucken Krakuserinnen,
Der Pilger, ergrauet an Jahren, und Juden, Zigeunerinnen,
Wahrsager, Teufel, — doch ehrlich all —
Um Becher zu minnen.
Wir fliegen zu Schlitten,
710Und zwischen uns mitten
Lärm und Gelächterschwall.
Kennst du der Polen Karneval?»
«Ihr könnt hier einmal nicht herein, jetzt ists nicht Faschingssaus,
Der Herr zog gegen den Tatar, und leer steht Hof und Haus.»
715So wies der alte Diener ab die Fremdlinge verwegen
Und stemmt sich fort und fort am Tor unbeugsam starr entgegen.
Als gleichwohl nun die Larven alle huben an zu singen,
Als nun begann ein Musizieren, Quieken, Klappern, Springen,
Als feur'gen Blicks die toten Züge, die papiernen Wangen,
720Die fremden Trachten sich zu flimmernd bunten Kreisen schlangen;
Als Farben, Glanz und Schatten sich im Fluge nun entwirrten
Und hüpfend, rauschend, flink sich windend auf und niederschwirrten:
Da tanzten selber ihm im wüsten Kopfe die Gedanken,
Er schaut' und wußt nicht Rat noch Maß, zu bändigen sein Schwanken.
725Zigeuner, Juden freuten, Wahrsager, Teufel schreckten ihn,
Und gierig blinzt er nach den kreisenden Gestalten hin
Die Masken sprangen hin und her vor ihm so hitzig wild,
Doch schon beschlich ein Grauen ihn; die Neugier war gestillt.
Da blies mit einem Mal in Hörner der Vermummten Mund,
730Es ließ die Hand von Hand, die Füße standen ruhig und
Von rauhen Stimmen, sanft gemildert durch der Flöte Klang,
Erscholl in wenig kunstgerechtem Chore dieser Sang:
«Ach diese ganze Welt ist Todes Erntefeld,
Der Wurm heckt selbst die Brut im üpp'gen Knospenzelt.»
735«Und wenn der Gram sich in die Seele schleicht
Und schwarze Wolken brausend ballt,
Und wenn gehäuftes Unglück wen erreicht,
Daß in Betrübnis sich zur Erde neigt
Die hohe edele Gestalt;
740O! reize dann der Bosheit Dolch nicht mehr die Wunde,
Er berg sich einen Augenblick …
Und sei's im Sterben schon, noch tön das Wort vom Munde:
Der Friede kehrt zurück, zurück!
Denn diese ganze Welt ist Todes Erntefeld,
745Der Wurm heckt selbst die Brut im üpp'gen Knospenzelt.
Wen vor der Krankheit flieht des Himmels Kraft,
Der Taube gleich vom Fluch gejagt,
Und alle Lebensmächte
[40] mit sich rafft,
Daß Wangen hohl aufdunsen totenhaft,
750Noch eh die Weihekerze ragt
[41]:
Mög niemand, um den Kampf der Schmerzen einzuwiegen,
Siegslieder singen voller Glück …
Er wollte denn am Ende noch die Worte fügen:
Dein Engel kehrt zurück, zurück!
755Denn diese ganze Welt ist Todes Erntefeld,
Der Wurm heckt selbst die Brut im üpp'gen Knospenzelt.»
«So jemand, andre schirmend voller Lust,
Selbst in des Abgrunds Tiefe bricht,
Kurz währt die Freud drob in der Mißgunst Brust. —
760Hüllt hier auch Bös und Gut ein trüber Duft,
Im Himmel ist ein letzt Gericht!
Es kann ja auch ein starkes Haupt zuweilen ringen
In Düsterkeit mit Mißgeschick …
Mög dann von holden Lippen laut das Wort erklingen:
765Die Freude kehrt zurück, zurück!
Denn diese ganze Welt ist Todes Erntefeld,
Der Wurm heckt selbst die Brut im üppigen Knospenzelt.
Wohl mancher eilt von Wegen fern daher,
Tritt hoffend unter Freundesdach,
770Daß schon der Gruß ertränk der Sorgen Heer;
Er stiegt durchs Haus, doch find't er's wüst und leer,
Und kein geliebtes Antlitz — ach!
Da bebt er wie vor einer nahen Unglückskunde,
Er senkt den tiefbetrübten Blick …
775Dann spreche Gastfreundschaft mit tröstend süßem Munde:
Es kehrt der Wirt zurück, zurück!
Denn diese ganze Welt ist Todes Erntefeld
Der Wurm heckt selbst die Brut im üpp'gen Knospenzelt.»
«Ha! Gott der Heil'ge sei mit euch! Wenn ihr nicht Geister seid,
780So deutet euer bunter Mummenschanz auf frohe Zeit.
Ihr bringt uns Neues nicht! Ei, sprang doch hier so manches Mal
Als wie ein Kreisel mondenlang herum der Karneval.
Herein! der Herr kehrt heim! Obwohl er nicht zu Hause eben,
Solls keinem doch an Flaum gebrechen, noch am Saft der Reben!»
785Sie treten ein, sie neigen sich, sie führen sich in Paaren,
Sie schauen rings umher, bis zur Beratung sie sich schaaren.
3.
Die Sonne hatte ihren weiten Bogen schon durchlaufen
Und färbte hell mit Flammenrot der Wolken graue Haufen;
Auf Erd und Wasser zitterte ihr Licht von goldner Wange,
790Und auf dem reichen Thron entbrannte sie im Untergange —
Ihr wundervoller Blick, er blendet jetzt das Aug nicht mehr,
Und milde, sichtbar sät sie rings die Strahlen um sich her.
Eh sie sich in die Tiefe birgt nach kurzem Segensgruß,
Gewähret sie den ird'schen Augen einen Scheidekuß.
795Noch zögert sie im letzten Augenblick sich zu versenken,
Um alle Wesen mit des Lebens Lächeln noch zu tränken.
Noch lugt sie durch die Scheiben dort hinein, wo Menschen wohnen,
Bang wie der Freundschaft Blick, die fliehen muß in ferne Zonen.
Sie wirft ihr Purpurkleid hoch aus der Wolken trüben Dust
800Und taucht in das Geheimnis der Natur die reine Brust;
Die Nacht verwischt mit neid'schem Finger schnell des Tages Pfad,
Schleppt nach — den schwarzen Mantel für Verbrechen und Verrat.
Wo weilt der Kronschwertträger doch? Die Zeit ist angebrochen,
Da nach der Schlacht die Schläuche
[42] anzuzapfen er versprochen,
805Da, froh sein Herz erschließend er sein Haus versammeln sollte,
Das Glück der Tochter krönen und den Schwiegersohn bewirten wollte;
'ne reizende Gesellschaft ist zu Gaste schon erschienen:
Was mag ihm wohl als Grund für so unzeit'ge Zög'rung dienen?
4.
Vom Augenblick, da ihm als Ziel vor Augen stand der Sieg,
810Vom Augenblick, in dem den edlen Renner
[43] er bestieg,
Als der Drommeten Schmettern ihm durch alle Adern dröhnte
Und wie ein hehrer Ruf vergangner großer Zeiten tönte;
Als er die rüst'ge Jugend sah, die Waffen hörte klirren
Und Schienen rasseln, Pferde schnauben, Fahnen rauschend schwirren:
815Da, mit dem Eidam werbend um den Ruhm als Brautmarschall,
Däucht er ein Adler sich, mit dem sein Junges fliegt zu Tal.
Als die Tatarengräuel dem Vergessen sich entwanden,
Und plötzlich, eine blut'ge Schaar, vor seiner Seele standen:
Zog sich die Stirn in Falten stolz, im Aug brennt Feuersglut,
820Auf linkem Ohr die Mütz, Verderben in der Rechten ruht,
Indessen Kampfbegierde in der Seele Tiefen bebt,
Daß jedes Haar des grauen Schnurrbarts in die Höhe strebt.
Kaum waren sie zum Dorf hinaus, saust aus der Scheid das Schwert,
Und einen Blick, vor dem der Feigling zitternd sänk zur Erd,
825Auf seine Tapfern werfend, daß das Herze ihnen schwoll,
Verlangt er aufmerksam Gehör, und laut die Stimm erscholl:
«Ihr Herrn vom Adel! Bürger! Kampfgenossen allzumal!
Ich weiß, ihr stürzt euch auf den Feind flugs wie ein Wetterstrahl!
Wen übrigens tatar'sche Kriegessitte
[44] schrecken sollte,
830Und wer die grimme Heidenschaar am Leben schonen wollte:
Der troll sich auf dem Gaul nur weg nach Hause, denn bei Gott!
Ich malt ihm mit dem Degen sonst das Antlitz blutigrot.
So stürmt denn rasch, vereint und kühn, laßt eure Büchsen knallen,
Auf Gott vertraut, aufs Schwert gebaut und traun! die Köpfe fallen
835Gleich Ähren, welche heute wie im hellen Glanz sich wiegen
Und morgen, nach dem Sensenschnitte welk am Boden liegen.
Doch äße keiner ruhig seine Grütze, in der Tat,
Wüßt er im Krieg Heuschrecken zu vertilgen sich nicht Rat;
Drum sacht, vorsichtig, klug! und wenn erst die Drommeten schallen,
840Dann spornstreich drauf, dann zeigt, daß so nur Polenschläge fallen!
Nun erst gehts Fischen an; da sei mir jeder unverdrossen,
Ihr Herrn vom Adel! Bürger! allzumal ihr Kampf-Genossen!»
Er ritt dann schnellen Trabs voran mit seinem Schwiegersohne
Beriet mir ihm geheim den Kriegsplan, teilt' ihm der Spione
845Kundschaft mit, erklärt ihm wie und wo von beiden Heeren
Der Eifer und die Kraft im Angriff zu verbinden wären.
Wie man den Sieg benütz; im Fall die Feinde widerständen,
Wie man den Schein der Flucht annähm, den Sieg sich zuzuwenden.
Waclaw war Aug und Ohr, da Hand und Kopf und jede Mien
850Des Kronschwertträgers Nachdruck dem beredten Wort verliehn.
Man spräch, säh man ihr Bild, der Maler wollt mit Künstlerwalten
Im Gegensatz hier eine reizende Idee gestalten:
Er prägt den Ernst im Jüngling aus und Jünglingsglut im Alten.
5.
Indessen ging's am Dorf vorbei fernab gebahnten Wegen,
855Und immer tiefer jagten sie steppein auf wüsten Stegen,
Wo Wind der Sämann ist und Zeit die Garbenwenderin,
Nicht Gier die Ernte hält, nicht Fleiß sich bückt zur Erde hin,
Die jungfräulichen Reize der Natur in Einsamkeit
Glückselig still erblühn, von Menschenhänden unentweiht,
860Wo nur der Himmel sie umfängt und ringsum weit und breit
Ein buntgefärbtes Meer sich dehnt von Fruchtbarkeit.
[45]
Ein Schiffer drauf, führt hier der greise Held den Heeresbann.
Des Weges Richtung, endlos, zeigt der Sonne Lauf ihm an.
Das hohe Gras bricht um, das Schilfrohr knickt, die Blumen alle
865Sie neigen ihre Balsamstirn der Hufe schwerem Falle.
Jedoch den grauen Schnurrbart rühret nicht der Duft, der milde,
Des süßen Atems Wollust dringt nicht in die Brust, die wilde.
Krieg nimmt die Seele ein; Ehrfurcht dem Staub, der hier gefei't
Im Heimatsboden liegt, und Rache dem, der ihn entweiht!
870Auch ließ er, als es galt der Tatarn Schliche aufzuspüren,
Die irrgewundnen, sich von heißer Kampflust nicht verführen,
Wohl wissend, daß im Dickicht hin und her nach allen Seiten,
Ein trügerisches Merkmal, unerforschte Wege leiten.
[46]
Er schnitt vielmehr querdurch ihr künstlich Netz und lächelt schlau,
875Dem Jäger gleich, der seines Tieres sicher ist im Gau.
Dann teilte er die Schaaren in zwei Hälften ab zur Zeit,
Mit klüglich vorbedachter List zu gleichem Zweck bereit.
Die eine, welche bleibt, grüßt mit der Mütze noch der Held
Und mit der andern biegt er ab ins unermeßne Feld.
880Im Dickicht blüh'nder Disteln
[47] sind die Recken schon versteckt
Und liegen ohne Roß auf rote Erde hingestreckt;
Sie kriechen fort, wie Büsten anzuschaun, auf blut'gen Bahnen, —
Verschwunden wie im Wasser sind die Mützen schon und Fahnen.
6.
Und Waclaw, der gewalt'ge Herr, im weiten Steppenreich
885Schweift er allein nach Herzenslust; warum wird er so bleich?
Der wilde tapfre Waclaw führt zum Ruhme seine Reih'n
Durch eine Wildnis hier; warum sieht er so finster drein?
Laut gellend pfeift der Wind; Waclaw hat oft mit Lust geletzt
Die Augen in dem luft'gen Bad; warum senkt er sie jetzt?
890Nachdenkend ist er, traurig, und doch wonnevoll und heiter,
Er mustert mit dem Blicke nicht einmal die treuen Reiter.
Warum? er weiß es nicht, er weiß nur, daß des Ruhmes Licht,
Das lockend winkt, feucht glänzend durch Mariens Tränen bricht,
Er weiß nur, daß sein Herz urplötzlich zittert und erbebt,
895Wie wenn an dem Erwachenden ein Flor vorüberschwebt,
Daß er erschreckt, geängstigt und erstaunt den Blick erhebt.
Er schüttelte mit raschem Wurf des Haupts der Haare Gold,
Als ob er es vom kalten Morgentau befreien wollt;
Er gab des Rosses Willen, das im Flug ihn fortriß, nach,
900Als wünscht er sehnlichst zu entfliehen schwerem Ungemach,
Zugleich war in dem trübumflorten Aug ein Glanz entbrannt,
Wie wenn die Seele wird von Hochgefühlen übermannt,
Und siegend über alles Erdenweh das reine Licht
Unsterblichkeit verklärend stammt auf sterblichem Gesicht.
905Was für Gedanken, Schwäche, Gram, Erinn'rung, Schreckenswahn,
Was für Gesichte ihn auch stürmisch drängten aus der Bahn,
Welch dunkle Macht in ihm auch niederkämpft die Tatentriebe:
Für Ritterpflicht allein entbrennt er jetzt in heißer Liebe.
Hat ihm des Bösen Geist, der neidisch an der Hoffnung zehrt,
910Der Zukunft Schleier lüftend, einen Blick in sie gewährt?
Sind
[48] des Gemütes zartgespannte Saiten so erschüttert
Von Unglücks rauher Hand, daß eine Ahnung sie durchzittert?
Er fällt vielleicht im Krieg? Ach was ihn immer sonst ereile,
Sein Geist nicht, noch sein gutes Schwert erliegen sonder Weile:
915Und ob ihm auch des Todes Hauch das Aug in Nebel hülle,
Das Schwert bleibt fleckenlos und fleckenlos des Herzens Wille.
Drum wie ein Strom gestaut im schnellen Lauf den Boden spaltet
Und beider Ufer Damm zerreißend, rings zerstörend waltet,
Und wie ein Roß, des Flug der Fesseln bar, nun Feuer sprüht,
920Die Erde stampft und schneller als der Sturm von dannen flieht:
So Waclaw unaufhaltsam jetzt auf seiner dunklen Bahn —
Zerriß der Schwermut Schleier
[49], der ihn hemmend will umfahn.
Gewalt'ger nur und mutiger durchbrach er alle Schranken,
Maß drohend sichren Blickes seine Waffen all die blanken,
925Und dennoch tönt ein grauses Wort (den finstern Blick wirds deuten)
Durch alle seine Nerven ihm: «Wirst einen Sarg erbeuten!»
7.
An Sorgen ist das Leben reich, an Dornen und an Weh'n,
Viel Tränen fließen offen zwar, doch mehr noch ungesehn;
Und wer im Schmerzgestöhne bricht in gellend Lachen
930Den nennt man glücklich hier, dem Tollen gleich im Narrenhaus.
Wenn aber das Gemüt dem edlen innern Drang vertraut,
Aus heiligster Gefühle Schutt das Leben neu erbaut
Und eingewiegt in tück'sche Zuversicht nach jedem Schritte
Abgründe gähnen sieht und selber sich in ihrer Mitte;
935— Dem Vogel gleich, der flatternd kam — den Jungen Az zu bringen
Und sieht den Knaben dräuend stehn, gefangen sich in Schlingen! —
Wenn jammernd selbst die Hände ringt der allerkühnste Mut,
Indes der Blick starr aus der schrecklichsten der Qualen ruht,
Und all die tausend Wunden, die das kranke Herz beschweren,
940Ein Nest von zischend gift'gen Schlangen ihm zur Welt gebären;
Wenn Bosheit wird zur Raserei und wie zum Zeitvertreib
Zuvor den Ruhm und dann das Leben nimmt dem stechen Leib!
Wenn nicht allein die Gegenwart sich wälzt im Ekel, auch
Die Zukunft naht mit wildzersaustem Haar und gift'gem Hauch —
945(Naht — wem? der Engelsseele, die dem Fluche fällt anheim,
Weil gastlich sie genähret wilde Brut mit Honigseim);
Wenn jede gute Eigenschaft sich kehrt in Bitterkeiten —:
Ach! das ist mehr denn Erdenweh', das sind der Hölle Leiden!
Und solche Qual, vielleicht auch andre noch und herbre Pein
950Goß in des Jünglings Seele ihren heißen Sud hinein. —
Die hinter ihm im Glanze wogend sprengten lang gereiht,
Sie hatten wenig Acht aus ihres Führers Düsterkeit.
Ein jeder sann, und mocht verschieden auch die Weise sein,
Sie waren darin gleich, daß jeder sah in sich hinein.
955Und doch war jeder gern bereit, gezückten Schwerts sofort
Zu stürzen sich in Todesnacht auf ein befehlend Wort.
In Ordnung ziehn sie schweigend hin (die Beine kreuzend stellen
Die Rosse in der Rosse Spur die Hufe ein, die hellen),
Wo Waclaw sie, in langer Reih gedehnt, nach seinem Sinn
960Auf menschenleeren, krummen Seitenwegen führt dahin.
Durch unermessne Au'n, dort, wo die Eb'ne scheint zu enden,
Um wieder leisen Bugs zu weitrer Fläche sich zu wenden;
Dort angelangt, entgegen einer Wolke lichtem Glanz,
Erscheinen sie dem Aug wie Rittersleut im lust'gen Tanz.
8.
965Doch halt! was sehn sie auf dem Hügel
[50]? Dort im nahen Grunde
Da qualmen Knäuel Rauches auf und Funken sprühn im Bunde;
Sie winden sich empor zu überhängend ries'gen Säulen,
Die hoch in schwarze, schwere, blut'ge Wolken sich zerteilen.
Und ach! was trifft von dort ihr Ohr? Aus naher Niederung
970— Im Strohdorf — Weinen, Schrei'n und Ächzen der Verzweifelung,
Daß von dem scharfen Ton das Herz im tiefsten Grund erbebt
Und selbst die Brust in Stahl gehüllt sich hoch von Seufzern hebt.
«Habt Acht! Greift zu den Waffen:
[51] Lasset eure Fahnen wehn!
Tataren plündern dort, drum — siegen oder untergehn!»
975Und plötzlich stürzten die ergrimmten Recken, wie ein Fall
Der Wasser blinkend, brausend von dem Hügel in das Tal.
Schon stand das ganze Dorf durch Räuberhand in Flammenglut,
Das Volk bestürzt und waffenlos, in Tränen schwamms und Blut.
Doch ists nicht Zeit zu retten Hab und Gut, den Schmerz zu dämpfen,
980Noch mit dem Feind vereinzelt um die Beute jetzt zu kämpfen.
Denn schon versammelte der Khan, gewarnt durch seine Wachen,
Die größern Horden um sich her, den Lieblingstanz zu machen.
Dort hinterm Dorfe stehen sie bedeckend rings das Feld,
Links Wald und rechts ein Bach, sie selbst im Halbkreis
[52] aufgestellt.
985Waclaw bemerkt sie wohl, doch er erwägt zu gleicher Frist —
Wie ein mißglückter Angriff oft verderbenbringend ist.
Wie sich zurückziehn durch die Glut? — Ach! wer kann dem entgehn,
Sei's Sieg, sei's Tod, was ihm der Himmel hat zuvorersehn!
«Mir nach, wer Mut hat!» Sprach's und spornt das Roß, das zögernd säumt
990Und eh es sich ins Feuer stürzt, hoch aufspringt und sich bäumt —
Wars doch so wild verwegen nicht, als wie der Herre sein. —
Wo ist die Polenschaar, die je den Führer ließ allein?!
Sie jagten in die Flamme nach und in der Lohe Schimmer
Da brachen sie sich Bahn durch glüh'nden Schutt und brand'ge Trümmer.
995Schon sind sie hinterm Dorf und rasch, einmütig, kühn, gewandt
Entfaltet sich das Heer und steht in Reih und Glied gebannt.
Mit einem Schreckensklang ertönten die Trompeten all,
Die Hufe schwangen sich empor mit einem lauten Schall,
Und Ruhm und Rache rissen wie mit einem Schwunge weiter
1000Die schnaubend tollen Rosse und die vorgebeugten Reiter.
9.
Und kräftig war der Angriff. Die Schwadronen der Tataren,
Halbmonde, Roßschweiffahnen flatternd mit den langen Haaren,
Die ries'gen Bogen und die Zottenpelze die verkehrten,
Die braunen Wangen mit den rabenschwarzen langen Bärten,
1005Die Züge finster trüb, Schlitzaugen träumerischer Art,
In denen tier'sche Grausamkeit mit menschlicher sich paart, —
Das ganze Schauspiel, dem an Wildheit keines zu vergleichen,
Brand, Steppe, Pfeile, die schon zischend durch die Lüfte streichen,
Sie schrecken nicht der tapfern Polen Mut, die kampfbereit
1010Den Sporn der Ungeduld nur fühlten wie ein Stachel
Im Sturmlauf flogen sie, doch als sie nun die Schwerter zückten
Zum Handgemenge — während Maul an Maul die Rosse drückten —
Und in den Halbkreis drangen nach berühmter Kampfesweise:
Schloß hinter ihnen der Tatar die Flügel rasch zum Kreise.
1015«Alla hu!» schrien die Horden; Rott an Rott zu tausend schoß
Auf die Umzingelten die giftgetränkten Pfeile los.
«Hurra!» scholl's von der Christenschaar und mit des Falken Eile
Durchbrach sie mitten in dem Kreis das Nachtgewölk der Pfeile.
Jetzt rückt sie vorwärts, Reih an Reihe in geschloßnem Heere,
1020Ausheulend, tosend, sausend, mit dem starren Wald der Speere;
Staub wallt, und Klirren, Schreien, Rasseln, Brausen und Gewimmer
Ringsum —, durchbrochen stürzt der Moslems Menschenwall in Trümmer.
Auf Menschen treten Rosse; Spieß und Lanz, die natterngleichen,
Durchbohren die Tatarenleiber unter Hufesstreichen.
1025Die Köpfe glühn, es blitzt der Stahl, es fließt das Blut in Bächen,
Der Tod hat Müh zu löschen all die Augen, welche brechen.
Doch all dies währt nur kurze Zeit, denn hinten wie zu Seiten
Erstehn Barbaren ungezählt mit neuer Kraft zu streiten.
Der Polen Ende naht, der junge Führer ruft heran,
1030Ermuntert, ordnet, wendet um und greift noch einmal an —
Nun wirrt sichs erst so recht, ein jeder ist umringt, und her
Und hin reißt wirbelnd ihn der Mut zur Gegenwehr.
Er haut, er spornt, er mordet, unerschöpflich bleibt der Schwarm
Und tausend stürmen ein, hat zehn besiegt des Einen Arm.
1035Ein Strom ergrimmter Haufen, grauser Lärm und Staubesnacht
Und Schwerter blitzend auf im raschem Flug — das ist die Schlacht!
10.
Geschieden von den Seinen, mitten im Gedräng der Feinde,
Allein, hilf-, hoffnungslos und ohne Zeugen, ohne Freunde,
So kämpft der düstre Waclaw und er rang nicht mehr ums Leben,
1040Das ihm zur Last; der Schmach nur will er's nicht zum Opfer geben.
Tod schleudert er, Tod suchend; denn, ach: tief im Herzen tönt
Ein Schrei, wie von der Taub, die unterm Habichtsschnabel stöhnt,
Der alles Denken lähmt. — Doch wie? — sei's Staunen wunderbar,
Sei's Schreck, vielleicht die Wirkung seines kräft'gen Armes gar:
1045Der Schwarm unzählbar, der ihn wie ein Knäul umschlossen hält,
Erweitert sich vor ihm zu immer größten Raumes Feld.
Sie sehn, erkennen ihn, den Führer! Jeder in der Runde
Stürzt los auf ihn und — fällt; mit keinem ist der Sieg im Bunde.
Doch als der blauäugige Jüngling nun es klar ersieht,
1050Daß zagend sich der Feinde Kreis vor ihm zurückezieht,
Gilt ihm der wunderbare Vorteil nur als traur'ge Mahnung,
Daß sich an ihm doch nicht erfüllen werde seine Ahnung.
Warum doch hatten sie nicht einen Pfeil in Köchers Munde,
Der mit dem Natterngifte
[53] stecken bliebe in der Wunde?
1055Ihn schmerzt's, daß sie schon fliehn; die Furcht, das Leben zu erhalten,
Jagt ihn, die Brust zu bieten dar den grausigen Gestalten.
Bald! bald! Der feiste, braungerötete Tatarenkhan
Stürzt dort schon, schäumend ha! vor grimmig stolzer Wut, heran.
Er sieht die Horde sein von einer dunklen Macht besiegt,
1060Er sieht, wie sie des einen Mannes Tapferkeit erliegt,
Er zerrt am zott'gen Bart und reißt im grausen Ungemach
Den Mund auf zum Verzweiflungsschrei: «Entsetzen, o, und Schmach!»
Mit finstrer Stirn erheben Tausende auf Einen, traun
Ihr Schwert, sie nahen schon, sie werden ihn in Stücke haun!
11.
1065Was schmettert hinterm nahen Wald, als ob Trompeten klängen?
Welch frische Schaaren wohl hervor dort mit Getöse sprengen?
Welch neuer Recke ist's, der rechts und links die Klinge schwingend
Den Weg sich durchs Getümmel bahnet, Tod und Schrecken bringend?
Das Roß streift kaum den Grund, der Wind spielt mit dem dünngesä'ten
1070Und grauen Haar, es schimmert gleich dem Schweife des Kometen;
Und wie er einem Schwimmer gleich sich durch die Feinde schlägt,
Sieht man, daß Angst und jäher Eile Trieb ihn vorwärts trägt.
Wie eine Löwin, die von Menschen sieht umringt das Junge,
Das sie allein gelassen, grimmen Mutes naht im Sprunge;
1075Wie eine Mutter, die den Flüchtling hoffnungslos verloren,
In Freude schmilzt, wenn sie das Kind erblickt, das sie geboren —
Mit solchem Mischgefühl der Mutter und der Löwin saust,
Ein Blitz im Fluge und den blanken Degen in der Faust,
Wie ein Phantom den Augen, die erschreckt und staunend sehn,
1080Der Kronschwertträger her; erst hart am Eidam bleibt er stehn.
— Ihm aus der Ferse nach sprengt seine Reiterschaar heran —
Sein allererster Gruß gilt dir, du aufgeblas'ner Khan!
Sie fliegen spornstreichs auf einander los. In starrer Ruh
Sehn Polen und Tatar'n dem nahenden Ereignis zu.
1085Ein Weilchen säumend greift der Alte an, sprengt seitab drauf
Und wieder dringt er auf den Gegner ein in vollem Lauf,
Bis er, erpassend seine Zeit, mit kräft'gem Gegenhieb
Das Eisen, das geweihte, in des Heiden Nacken trieb.
Wie abgemähet fliegt das Haupt herab im wucht'gen Schwunge!
1090Es rollt die Augen, Worte unverständlich lallt die Zunge,
Es kollert hin und her, es gähnt, erbleicht, erlischt; hoch spritzt
Das Blut aus ries'gem Rumpf, der unbewegt im Sattel sitzt.
Durchdringendes Geschrei steigt auf; sie fliehn; des Khanes Roß
Jagt mit der Leiche seines Herren mitten in den Troß.
1095Die Heiden faßt der Schreck; zum Metzeln spielt jetzt Hörnerton;
Die neue Schaar setzt nach — die alte stritt sich müde schon —;
Es knallt und blitzt, es pfeift und lärmt, es schreit, es schnaubt, es stöhnt,
Und die Vernichtung wird durch heißerkämpften
[54] Ruhm verschönt.
12.
Nur kurz noch währt der Kampf. Die Waffen streckt ein großer Teil,
1100Ein größter fällt; die Nachhut rafft was flieht in wilder Eil.
In Bächen fließt auf dem zerstampften Grund das rote Blut,
Bei Pole und Kosak auch des Tataren Leiche ruht,
— Denn notgedrungen liegt wo er gefallen jedermann, —
Die Rosse fliehn der Steppe zu, die Seelen himmelan.
1105Kalpak's
[55], Turbane sind weithin zerstreut, von Staub entehrt,
Treu rastet dicht bei ihnen nur das blutbespritzte Schwert.
O du, des Wohlergehn der Brüder Tapferkeit verpfändet,
Komm, horch wie kriegerische Lust und Siegsgeschrei nicht endet!
Sieh, wie hier zwischen Leichen angenagt vom Wurmgezücht
1110Den Tod an ihrer Statt sich wünscht manch bärtig Angesicht,
Wie Lächeln auf den finstren Stirnen tagt und sie verschönt
Und dann, ein schallend Lachen, gleich dem Donnerecho tönt!
Komm, zittre nicht! an ihrer Seit ist's ehrenvoll zu stehn;
Wie blüht von Feindesblut benetzt ihr Mut so reich und schön:
1115Und regt sich dir im Herzen nichts darob, als Furcht und Beben,
Zagst du für Vaterland und Volk zu opfern selbst das Leben,
Gäbst du in Not für sie nicht alles, was dir Stab und Stecken —
O! schau dann tief in dich, und vor dir selbst wirst du erschrecken!
Komm, drücke du den woll'nen Kaftan an die erz'ne Brust
1120Und ihre Wunden küsse du in heil'ger Dankeslust!
13.
Ein Hügel war am Waldessaum, des Stirne lenzesgrün
Die würz'gen Düfte wilder Thymusblüte rings umsprühn.
Ihn schmücken Hangebirken, angetan mit weißen Flittern,
Die wenn die Weste kosend durch ihr Zweiggeflechte zittern,
1125In Tränen stehn wie Jungfraun alter Zeit am Grab von Rittern.
Dort unter ihrem traumesdämmrig balsamfrischen Kranze
Ruhn Sieger und Gefangne in der Eintracht heitrem Glanze.
Die Einheit hat das Leben doch, daß Wollust Schmerzen spendet
Und Mühsal, Langweil, Schande, Ruhm zusammt ermattend endet.
1130Im Vordergrund ein sinkend Feuer, das des Kampfes Feld,
Ersterbend schon mit düstrem Flackern zeitweis noch erhellt.
In Rücken barg die Sonne sich am grünen Waldesrand
Und staunte, weil die Wipfel all sie sah in glüh'ndem Brand.
Die Farben blichen, Raben flogen nieder und im Kreise
1135Umschwärmten sie mit heiserem Gekreisch die Leichenspeise.
Die Wachen sind gestellt, an Lagerfeuern tobt nicht faul
Das rühr'ge Kriegesvolk; das Gras knirscht in der Rosse Maul
Wie ferner Waffenklang, und einem weißen Aare gleich,
Saß bloßen Hauptes, alt und grau und doch so ruhmesreich,
1140Der Kronschwertträger in der Birke kühlem Schatten dort
Und redete zum finstern Eidam jetzo dieses Wort:
«Mein Sohn! — So nenn ich dich, seit wir so nahe sind verbunden,
Daß du in meinem Herzen hast den Sohnesplatz gefunden —
An einem Glückesfaden spann der Tag sich ab, fürwahr!
1145Mein Waclaw kehrt mir unverletzt; aufs Haupt ist der Tatar
Geschlagen und, Gott gebs! auf lang beruhigt die Ukraine —
Und das durch Gunst Fortunas mehr, als mein Verdienst, das kleine.
Doch wenn die Seele, wie es scheint, besitzt des sie begehrte,
So siehst du mir doch gar zu traurig aus als Siegsgefährte.
1150Sieh, wie so reizend schön der Mond dort kommt heraufgestiegen!
Genug des Ruhms! nun ziemt es auch dem Herzen zu genügen.
Sitz auf, eil fröhlich heim, wo dein getreues Weib mit Bangen,
Wie auch der Diener treue Schaar, sich sehnt dich zu empfangen.
Ich nehme noch des Aufbruchs wahr und morgen mit dem Dämmern
1155Da werd ich mit des Hufschlags Gruße «guten Tag» euch hämmern.
Sitz auf, dein edler Renner trägt dich hin in Flugeseil;
Leb wohl: mein, wie auch Gottes Segen bleib dein stetes Teil!»
14.
Waclaw erhob sich rasch, und nach der Sitte jener Zeit
Drückt er die alte Hand, die ihm voll biedrer Herzlichkeit,
1160Wenn kräftig auch und rauh, den Druck erwiderte. Schon hatten
Das flinke Roß sammt Reiter hinter sich der Bäume Schatten,
Indes der greise Kämpe an sein Vaterunser schreitet.
Wie reizend doch der junge Waclaw durch die Steppe reitet!
Um Haar und Federn spielt ein Silberglanz und winzig bricht
1165Sich in dem Waffenschmuck des vollen Mondes Angesicht.
Ha! welche Lust, wenn die Natur in Stille ruht gefangen,
Zu fliegen zur Geliebten hin mit sehnendem Verlangen!
Zu grüßen jeden Gegenstand mit freundlichem Gedenken,
Mit ungehemmter Freude sich in jeden zu versenken!
1170Da wird die Stille unterbrochen nur von süßen Tönen,
Der Nachtigallensang, das Wassermurmeln, Fröschestöhnen,
Sie sind in Klängen wild und bange, rührend und lebendig
Dem wachen Fühlensdrang geheimer Sehnsucht all geständig.
Dann scheucht der holde Duft, der aus den Blütenkelchen quillt,
1175Mit leichtem, wonn'gem Hauch der Sorgen düstres Nebelbild;
Die Seele ist verklärt, als sollte sie im Himmel landen
Bei ihrem Schöpfer droben, frei von ihres Körpers Banden.
Natur ist Mutter dann, die mit dem Menschen alles teilt:
Und alles lächelt, weil die Freude allerorten weilt.
1180Dann bleibet ungezückt das Schwert, vergessen jede Wunde,
Die Güte wohnt im stolzen Blick, Verzeihen aus dem Munde.
Und so flog Waclaw selig schon, als hätt ein Wetterstrahl
Des Lebens Segel eben ihm zerteilt mit einem Mal:
Denn beugen konnt ihn nicht der Erdensturm, mit starkem Flügel,
1185Er hätte wütend nur umbraust den kalten Grabeshügel. —
Und so flog er die Steppe hin; doch ach, der Traum so licht,
Der in der Erdenkinder Glückesrausch sich blendend flicht,
Er währt zu kurz. Erinn'rung steigt empor wie ein Gesicht
Und weckt vergangne tote Zeit, in deren duft'gem Flor
1190Unruhig schauervoll es flüstert wie im Geisterchor:
«Du sahest sie so bleich, so schwach — traun, ohne Schutz verzehrt
Die zarte Ranke sich und welkt! — traun, ohne Hülle währt
Die süße Frucht hier nicht. Und wie? zurückgekehrt zu ihr
Sahst dein verlornes Eden du und stießest es von dir!?
1195Weshalb? Um eitlen Ruhmes willen, dessen Schimmer nicht
Ein einzig Lächeln aufwiegt vom geliebten Angesicht,
Ach, hättest du nur Grund auf des Geschicks Bestand zu bauen!
Doch kaum entwich der Sturm, hellt schon dein Blick sich von Vertrauen.
Vergessend, daß die Zeit nach Gram zu messen bitter schmerzt,
1200Hast du das Glück, das dir bestimmt, leichtsinnig selbst verscherzt!»
Und weiter, schneller gings. Leicht über Strauch und Graben sprang
Das Pferd gestreckten Leibs; des Laufes Schall, der Hufe Klang,
Des Ritters blitzende Gestalt den Landmann eben traf,
Wie er die Sinne sammelte, erwachend aus dem Schlaf.
1205«Hu, hu!» Eh er die Augen rieb und Herz vermocht zu fassen,
Ist fort der Reck und hat die Vampirsage hinterlassen.
So stürmte Waclaw hin und war, im Glücke angsterfüllt,
In Schönheit fürchterlich, der Sterblichen getreues Bild.
15.
Doch endlich prallt das Roß ans Tor, die Brust mit Schaum bedeckt,
1210Und wiehernd es nach Kühlung rechts und links die Nüstern reckt.
Doch niemand ist zu sehn, obgleich der Mond gar helle blinkt.
Kein Knappe hier behenden Fußes an die Zügel springt.
«Es muß sehr spät sein: mögen sie doch schlafen sorgenfrei!»
So dachte Waclaw, und er band sein Roß an nebenbei.
1215In jener Flut der Lust, wovon das Herz ist übervoll,
Wenn bald es, bald schon am geliebten Busen schlagen soll,
Mit jenem Glanz des Blicks, vor dem die Furcht verscheidet schier,
Mit einem Freudensprung stand Waclaw an des Hauses Tür.
Ach, welcher süßen Reize Vorgefühle ihm erwachen!
1220Ein Weilchen noch — und schöner, reicher wird das Glück ihm lachen,
Als Menschen, Engeln je es lacht. Er klopft ein, zwei, drei Mal —
Ein wachsam Echo fliegt zurück mit Antwort gleicher Zahl
Und schweigt. — Des Lebens oder einer Regung einz'ge Spur,
Harrt' schlummernd stille hier es auf des Ritters Ankunft nur.
1225Nicht eil'ger Schritte, jäher Rede Lärm ist zu erlauern,
Kein Lichtschein in den dunklen, öden und verschloss'nen Mauern.
O wie so bleiern ist ihr Schlaf! Die Ungeduld rät an,
Daß durch die Tür mit einem Hieb der Säbel breche Bahn.
Doch solch gewaltsam heft'gen Rat mußt er verwerfen: nein,
1230Nie brächt er Unruh ihr, um zu verkürzen seine Pein!
Mocht lieber doch der Sturm in seiner Brust den Lauf vollbringen,
Wenn er nur nicht zu ihr mit seinem Angstruf konnte dringen,
Er klopfet nochmals, leiser: in des Herzens Himmel sprießt
Schon Engelsfühlen, da man trunken seiner selbst vergißt.
1235Und langsam vorwärts schreitend hält er manchmal plötzlich inne,
Und durch die Stille lauscht er mit des Ohres feinem Sinne.
Er blickt den Vollmond an, der auf des Rasens weichen Kissen
Sein eignes Bildnis ihm entwarf in ries'gen Schattenrissen.
Wie sanft und ruhig dieser doch die helle Bahn vollendet
1240Und, ach, wie er zu seiner Sonne hin die Augen wendet!
Der Ritter beugt das Haupt: ihm dünkt, als ob im fahlen Licht
Ein höhnisch Lächeln spielt um das verzerrte Angesicht.
So traurig sinnend oder alles Denkens bar, gefangen
Im Wirrwarr feindlicher Gefühle, wo der Schmerz, das Bangen,
1245Erinn'rung, Liebe, Glück, ja alles, alles scheint zu enden,
Irrt er ums Haus herum, das schweigend ruht in Schlafes Händen
Und stille, taub und tot den teuren Schatz im Schoße hält,
Gleich den verwünschten Schlössern in Arabiens Märchenwelt.
Doch horch, was ists? Verloren hatt er schon die Hoffnung, ach!
1250Da merkt er endlich, daß sich Etwas regt; im Schlafgemach
Sieht er das Fenster offen, und ein Vorhang, leicht gesenkt,
Der hier als Wächter gegen nächt'ge Schwärmer aufgehängt,
Mit flatterhafter Laune höhnt den Windeshauch, den scheu'n,
Wehrt ihm, und lockt ihn wieder doch in das Gemach hinein.
1255O welch ein Liebesfeuer durch des Ritters Adern fließt!
Wie aller Glanz des Glücks auf seine Wangen sich ergießt!
Wer ist, der solchem Sinnestaumel widerstehen wollt?
Er wär ein steinern Bild denn oder reinstes Tugendgold.
Waclaw war keins von beiden. Krieg und Kampf war seine Sache
1260Und Liebe, Treue, Dankbarkeit — schon ist er im Gemache!
16.
Da ruht in Trauerkleidung auf dem schwellend hohen Bette
Ein schlafend Weib, starr ausgestreckt aus ihrer Lagerstätte;
Doch wird sie nicht umkost von tiefen Schlafs Gemächlichkeit.
Als wär hier plötzlich abgeschnitten ein gewaltig Leid —
1265So war auf ihrem fahlen Antlitz noch ein Weh gebannt,
Obwohl der Körper ruhig, regungslos lag ausgespannt.
Nachlässig fiel zur Erd herab ihr langes Haargeflechte,
Nicht wie die Liebe schlafumstrickte Reize legt zurechte;
Und Trauer lag auf kraftlos aufgeduns'nem Wangenrund,
1270Als ob sie klagen wollt — nur daß geschlossen war der Mund
Von einer stärkern Macht. Des Mondes Strahl, beleuchtend kalt
Mit seinem blassen Schimmer diese düstere Gestalt,
Lieh einen Ausdruck wild dem halbgeschloss'nen Aug, als schaut'
Zu ihrem Liebsten buhlend auf hier eine Vampirbraut.
1275Das ist Maria jung und schön! Der Ritter steht daneben,
Bracht ihr der Erde Glück: was mag er nur so ängstlich beben?
Das ist Maria jung und schön! Wie ist der Reiz gewichen!
Hat denn ein Wurm sich schon in ihren Busen eingeschlichen?
Allein nicht lange steht in Staunen Waclaw hier gebannt,
1280Schon hat sein Geist sich von des Leibes Zittern rasch ermannt;
Er beugt sich über ihre Wang, daß Lipp an Lipp er schließe
Und seines Herzens süße Wollustfülle drauf ergieße.
«Marie, du Teure, bist so kalt und stumm! Nein, nicht dahin
Ist unsres Glückes schöner Traum» — das Echo spricht: «dahin» —.
1285«Marie! Geliebte! Aus dem Kampf bin ruhmvoll ich geschieden,
Der Vater, er hat uns vereint» — das Echo spricht: «geschieden».
Er küßt sie wieder, rüttelt sie, besorgt im Liebesrausch,
Daß sie sich tröste, wenn auch nur durch ihrer Seufzer Tausch.
Ihr Haupt fällt wie im Sturz auf seine Brust und ächzend hallt
1290Es ihm die Antwort zu, indem es an die Rüstung prallt.
Er schreit und eilet Hilfe suchend durch des Hauses Öde,
Doch von den Wänden tönte nur der Widerhall, der schnöde.
Er kehrt zurück mit Hoffnungstrost, ob nicht vielleicht die Frische
Der Lust das Dämmergrau von ihrem schwarzen Auge wische.
1295Doch als der Ritter nun sie fortträgt mit der Arme Kraft —
Wie bricht der Leib, wie ist das Gliederspiel so grauenhaft!
Sie ist elastisch biegsam nicht, nicht mühelos zu heben;
Sie drückt mit ganzer Wucht des Leichnams, der erkaltet eben.
Schlaff hängen Arm und Haupt herab, erstarrt sind schon die Füße
1300Und wandeln sie zum Schreckensbild, ihm teuer noch und süße. —
«O Wasser! Wasser!» ruft er, daß der Schrei das Mark durchdringt,
Und reißt am ries'gen Tor, das krachend aus den Angeln springt.
17.
Da regt sichs, wie es scheint, im dichtverwachsnen grauen Rohr,
Das Laub zerteilet sich und eine Mütze guckt hervor,
1305Ein Kopf kommt in die Höh, ein Körper richtet sich empor,
Der im Verstecke dort gesessen und geharrt mit Bangen:
Das junge Knäblein ists, mit hellen Tränen auf den Wangen!
Es sah den Ritter an, im Blicke tiefempfundnes Leid;
Der Ritter maß mit Staunen hier der Jugend welkes Kleid.
1310Wars Schrecken, der es hier gefangen hielt, wars Zauberbann? —
Ich weiß nicht. Aus dem Dickicht tretend also es begann:
«O Rittersmann! verlang mit Zittern du nach Wasser nicht,
Denn eben erst erlosch in ihm der ird'schen Schönheit Licht!
Die grausen Masken haben im verräterischen Spiele
1315Der Herrin Reize dir ertränkt in jenes Teiches Kühle:
Und wer die Menschen einmal meidet,
Auf Nimmerwiederkehr er scheidet!
Das ganze Haus: der Edlen, Jungfrau'n, Knappen, Knechte
[56] Hauf
Brach zur Verfolgung, wie um Priester auch und Weiber
[57] auf.
1320Das Haus ist öde jetzt; doch eh noch kommt der Morgenschein,
Tritt murmelnd, räuchernd, singend Todes Dienerschaft hinein:
Und wer ihm ist verfallen heute,
Der bleibt für immer seine Beute!
Für immer! ach, ein trüber Laut, wenn dort er wiederklingt,
1325Wo man in Gram und in Verlust mit grausem Schicksal ringt,
Der sich in Lieb und Freundschaft und in jeder Lebensfrist
Oft wiederholt, und echt und wahr doch erst im Grabe ist!
Denn wer die Menschen einmal meidet,
Auf Nimmerwiederkehr er scheidet! —»
1330Und auf die Zehen hob das winz'ge Knäblein sich empor,
Daß zu erreichen es im Stande wär des Ritters Ohr,
Und raunt ihm seine Kunde zu. Und auf der Stirn des Ritters
Zog schwarz Gewölk zusammen eines nahenden Gewitters,
Und plötzlich zuckt auf seiner Wang durch der Verzweiflung Nacht
1335Ein heller Blitz, von Zorn und von Verachtung angefacht —
Bis endlich jene wilde, starre Düsterkeit erstand,
Die nur des Feindes Sarg noch sieht als einz'gen Gegenstand,
Der Bande heiligste zerreißt in ihrer Hölle Feuer
Und selbst im nächsten Freund entdeckt ein giftig Ungeheuer —
1340Bis endlich jene tolle Gier nach Blut in ihm erstand,
Nach Sturm und Lärm — ach! des verderbten Herzens eigner Brand,
Der selbst im Haus entstammt der Zwietracht Fackel grauenhaft
Und an dem eignen Herd Verbrechen mit Verbrechen straft! —
Und war die höchste aller Qualen jetzt für ihn der Tod
1345Des Teuersten, das ihm die Segenshand des Himmels bot,
Ha! wie gesellt schandbarer Rache, die ihn grimmig hetzt,
So fürchterlich sich die Verzweiflung und der Gram zuletzt!
Und allen Schmerz im stieren Aug — ach! ein Gedanke flicht
Allmächtig ihn in Ein's: «Unwandelbar ist das Gericht! —»
1350Im Unglück minder schrecklich ist Laokoons Gestalt
Vom Schlangenzahn bedroht — das Urbild tiefster Schmerzgewalt!
18.
Und so verlor auf einmal Waclaw alles auf der Erde —
Das Glück, die Tugend und die Achtung vor der Brüder Werte;
Denn nimmer weckt er aus dem Schlafe die Geliebte mehr,
1355Die — aller Tugenden Ersatz und sicherste Gewähr —
Mit reinem, lichtem Engelsschein die Täuschung, ach, die holde,
Um falsche Freundschaft, um der Herzen Leere spinnen sollte. —
Doch so blieb Waclaw einsam in der Wüste öder Nacht —
Wie hat Mariens Scheiden sie so schwarz, so schwarz gemacht! —
1360In stummer Trauer stand er lange an dem Leichenbette:
Ein starres Marmorbild an der geliebten Grabesstätte!
Denn grauser Bosheit Werk mit Schaudern hier betrachtend war
Die Seele selbst des rührenden Gefühls der Trauer bar.
Nur Ein's erneut sein Weh, nur ein Gedanke, nicht zu fassen! —
1365«Ach, daß ich Menschen doch vertraut! ach, daß ich sie verlassen; —»
Und als er ihr ins Antlitz schaut, dünkt ihn, er höre klingen
Den Vorwurf unwillkürlich miterstarrt im Todesringen —
Den ersten, letzten Vorwurf, den sie je an ihn gerichtet: —
«Er habe beider Glück, und sich mit ihr zugleich vernichtet!»
1370Erst jetzt sein Herz den Pulsschlag wieder allgemach gewinnt; —
Er birgt das Antlitz in die Hände, weinend wie ein Kind.
Doch lange währt' es nicht! Schon fühlt sein Herz empört, betrogen
Das Gift, das es in einem Augenblicke eingesogen;
Schon ist sein Geist, der Hoheit Sitz, von jenem Fluch berührt,
1375Der seiner sünd'gen Opfer Sinn in Schand und Schmach geführt.
Wär er der Welt ein Abscheu schon in üpp'ger Jugendblüte?
Ach! frage lieber doch! was frommt hier alle Herzensgüte,
Wo nur ein Schemen ist jedwedes edlere Gefühl,
Wo Kinder marktend stehn an greiser Eltern Sterbepfühl;
1380Wo Liebe Prahlerei, die sich an fremdem Unglück weidet,
Und Mitgefühl Verstellung ist, die andre: Glück beneidet —
Wo hoher Strebeziele Bahn auf immer ist entrückt,
Weil Heuchelei sich mit der Tugend schöner Hülle schmückt,
Wo treue, unverstandne Herzen einen Trost nur haben,
1385In der Begeistrung gleichen Strom ihr Leben zu begraben?!
19.
Es gleicht das Menschenherze wohl dem dunklen, düstren Wald.
Den einen stirbt es langsam, langsam ab durch Zeitgewalt;
Da fällt erst Blatt um Blatt, bis sie der späte Herbst entlaubt,
Daß sie wie mos'ge Eichen stehn mit kahl entblößtem Haupt.
1390Die andern trifft, von inn'rer Glut genährt, aus Wetternacht
Des Blitzes wild geheimnisvoller Strahl: — der Donner kracht;
Und wieder glänzt des Himmels Blau, und eine Zeit bricht an,
Wo nach dem Sturm das Grün lebendiger erstehen kann.
Allein wer näher zusteht — trotz der äußern glatten Schale
1395Bemerkt er doch in ihrem Innern schwarze, brand'ge Male —
Und — wenn das Wetter am getroffnen Baum das Mark entzündet,
Wer ist, der zu ersticken diese Brunst sich unterwindet?
So trägt Vernichtung weit und breit umher der üpp'ge Baum —
Ach! in des Menschenherzens dunklem, düstrem Waldesraum.
1400Was kann in diesem Leben Waclaw noch versprechen sich? —
Zu deuten wär es schwer und zu erraten fürchterlich.
Auf seinem Herzen liegt ein dunkler, blut'ger Flor; genug!
Wozu ihn lüften, wenn nur Wunden aufdeckt jeder Zug?
Dahin ist alles; der Gewinn nur bleibt, daß nicht die Hand
1405Der Zeit den Trümmerrest zerstört — nein, nur der Flammenbrand. —
In kurzer Andacht hat er vor dem Schöpfer sich geneigt,
Und mit dem kleinen Freunde — ach! ein neuer Feind vielleicht —
Trägt er sodann den toten Körper ins Gemach zurück;
Der Mond, er lieh das Licht dazu mit seinem Nebelblick.
1410Das Bett macht er der Herrin dort — zum letzten Mal — bereit,
Und in dem zarten Schutze machtlos reiner Sittsamkeit
Legt Glieder, Kleider, Haare er zurecht mit stillem Eifer —
Neugier'ge Bosheit gießt auf Tote selbst den eklen Geifer. —
Dann fiel auf ihre tote Wang sein Blick, der bang getrübte,
1415Aus dem der Schmerz der Trennung sprach, allein auch das Gelübde:
Bald ihr vereint zu sein, und die Verzweiflung, die erwägt,
Die jeden Zug des Mißgeschicks sich ins Gedächtnis prägt.
Er zückte sausend dann das Schwert, das noch mit einem Streiche
Die grause Rache üben soll, dann — ruhn im Arm der Leiche.
1420Er ging hinaus: sofort schwand alles Weh aus dem Gesicht;
Er sprang aufs Pferd, und hinter ihm saß auf der kleine Wicht.
Wer war denn dieses Menschlein mit verweintem Augenpaar?
Wars seines Schicksals Geist? ein Engel oder Teufel gar? —
Reizt er die Qualen? teilt er seinen Gram, um ihn zu bannen? —
1425Ich weiß nicht — er umschlang den Herrn, und eilend gings von dannen.
Auf einem Kirchlein der Ukrain der Türme drei erglänzen,
Ukrain'sche Weiber murmeln ihr Gebet an Rosenkränzen,
Die Glocke schlagen Knaben an, das bringt ein Stückchen Geld;
Die Leute strömen, ob man Taufe, ob Begräbnis hält.
1430Im Innern schwarz umflort, steht Sarg und Bahr und Kerzen schauen
In Reihen bleichen Lichtes zu; allwärts ist düster Grauen.
Weß ist im Kreis der Neugier die erhabene Gestalt,
Die dort in Kreuzesform gebettet liegt so starr, so kalt?
Weß ist die ritterliche Brust, die hier sich streckt im Staube?
1435In stiller Demut, die nicht mehr dem Schmerze fällt zum Raube,
Ob auch der herbsten Strafe schwere Wucht sie drückt zur Erde,
Liegt regungslos der Mann mit stummandächtiger Gebärde,
Bleich wie der Kerzen Schein, der übers Angesicht ihm wallt,
Und traurig wie das Totenlied, das eben hier erschallt.
1440Aus niedrem Erdenstaub, in den ihn bannt des Glaubens Macht,
Da leuchten seine Augen wie ein Glühwurm in der Nacht.
Es ist des Kronschwertträgers graues Haupt, von Elend schwer:
Das Weib verlor er jüngst, jetzt bringt er seine Tochter her.
Dazu wiegt' er sie einst, daß er im Sarg sie schlafen sehe,
1445Und bracht ihr Silberlahn, daß man ihr Bahrtuch damit nähe?!
Und seltsam! bei der Leiche scheint er alles Fühlens bar,
Als wär sein Geist schon mit der Tochter in der Engel Schaar.
So blieb er später auch: nicht Gram noch Klagen gab er kund,
Und ein Vertrauenswort hört niemand aus dem bleichen Mund.
1450Im trotz'gen Blick war keine Spur von Tränen; menschenscheu
Verkehrt er mehr mit Gott, im Übrigen blieb er sich treu.
Tagtäglich ging er um dieselbe Stunde heimlich aus,
Doch eh das Losungswort man gab, kehrt' er zurück nach Haus.
Einmal — schon wars nach Mitternacht — kommt er nicht heim ans Tor,
1455Und als die Wacht die Hoffnung seiner Rückkehr schon verlor,
Als aus dem Schlaf, beim Hörnerklang, wie aus der Schleuder Becken
Zu eil'ger Rache oder Hilfe stürzten all die Recken:
Da fanden sie ihn auf dem Kirchhof vorgebeugten Leibes
An zweien Nachbargräbern knie'nd: der Tochter und des Weibes.
1460Stirn, Mund — dieselben ganz, von Würd und Milde noch umflossen,
Dasselbe blasse Antlitz auch, das Auge halb geschlossen,
Und Mütze, Schnurrbart — Schreckensbilder stets dem Feind, dem grimmen —
Derselbe schwarze Żupan auch, nur daß die Weckrufsstimmen
Der Kriegsdrommeten schon verklungen waren fern und weit;
1465Er griff nicht mehr zum Schwert, er schlief schon für die Ewigkeit! —
Drei Hügel, düstere Gefährten, ragen still alleine —
Und öde, traurig, bang ists in der üppigen Ukraine.
Vorwort des Übersetzers zur Ausgabe von 1857
1468Die „Maria” des Anton Malczewski,
die ich hiermit in einer den Sinn und, wo
immer möglich, den Wortausdruck des
Originales treu wiedergebenden Übersetzung
dem Publikum vorführe, gilt bei den
Polen für eine Perle ersten Ranges in dem
Schatze ihrer poetischen Literatur. — Es geht
uns mit Dichtungen der Art, die von dem
Enthusiasmus einer Nation gehoben und getragen werden,
wohl wie mit manchem berühmten
Manne. Sein Ruf dringt aus der
Ferne zu uns und erweckt den Wunsch, den
Vielgepriesenen einmal von Angesicht zu Angesicht
zu sehen und in seinem Wirkungskreise
zu belauschen. Was wir lange gewünscht, geht
in Erfüllung. Aber wir finden den Mann ganz
anders, als wir geträumt haben, und weil er
den vorgefaßten Begriffen nicht entspricht, ja
vielleicht gewisse Eigentümlichkeiten zeigt, die
uns mißfallen, so fühlen wir uns anfangs
unbehaglich in seiner Nähe. Genießen wir
aber eine Zeitlang seinen Umgang, besuchen
wir die Stätte, wo er die Schätze seines Geistes
und Herzens fruchtbringend verwendet,
erfassen wir erst den Kern seines Wesens,
dann geben wir die Täuschung gerne für die
gewonnene Wahrheit hin. Gleiches dürfte auch
von Malczewski's Maria gelten. — Zunächst
trägt sie schon das Gepräge des Düstern,
ja zuweilen des Unheimlichen und Geisterhaften
an sich, und wer von dem Gedichte einen
heitern Genuß und die Verklärung alles Erdenweh's
in dem lichten, sonnenhellen Himmel
der Poesie erwartet, der nehme es lieber nicht
zur Hand. Die Maria ist ein Schmerzenskind. In Schmerzen empfangen und in Schmerzen
geboren, weist sie fast ausschließlich auf
des Lebens Dornen und Wehen hin. Aber sie
tut es mit jenem Reize des Erhabenen, mit
jener Weihe des Schmerzes, die uns die Wahrheit
der Empfindung verbürgen, wenn wir uns
auch zuweilen sagen müssen, daß das Gemüt
des Dichters leidend, seine Weltanschauung
keine ungetrübte ist. Die Maria hat einen tiefen
menschlichen Gehalt; der innerste Pulsschlag
ihres Herzens ist: Liebe und Begeisterung! Sodann ist sie echt volkstümlich. Es sind nationale Klänge, die
uns hier entgegen kommen, nationale Gefühle,
die uns anwehen, nationale Gebräuche,
deren Schilderung das Interesse der Fremde
in Anspruch nimmt. Wir treten hier in ein in
sich abgeschlossenes Volkstum (dessen Glieder
sich auch an den geringsten Abzeichen ihrer
Nationalität erkennen und begeistern) wie in
einen Familienkreis, wo denn Manches, weil
eine Jahrhunderte alte Familiensitte es geheiligt
hat, als ehrwürdig erscheint, was „draußen” mit anderen Augen angesehen wird. Ich
kann es mir nicht versagen, hier eine Stelle
aus der Lebensbeschreibung des Dichters von
S. Goszczyński anzuziehen, obwohl sie nicht
frei von Schwärmerei ist. „Malczewski,” — sagt
der polnische Biograph — „verstand es aus seiner
Zeit herauszutreten, zurückzukehren zu der altpolnischen
Religiosität, ihre Weihe anzunehmen
und mit Ergebung der Zukunft entgegenzuschreiten,
und dadurch wurde er in der Idee
Polens das Mittelglied zwischen der Vergangenheit
und der Zukunft, selbst mit allen Kennzeichen
der neueren Poesie; denn Malczewski's
Poesie ist in der Tat eine Byron'sche Dämmerung,
sanft gerötet durch jenen religiösen
Glanz, welcher in den kurzen Sommernächten
den gestrigen Untergang der Sonne mit dem
heutigen Ausgang verschmilzt.” Der Leser erwarte
also nicht, neuen, kühnen Ideen, großartigen
Charakteren auf weltgeschichtlichem Boden
in dieser Dichtung zu begegnen; wenn er
sich aber dem Eindruck derselben unbefangen
hingibt, so wird er, vom engen Rahmen des
nationalen Lebens umschlossen, lernen, wie
Polen sprechen und wie Polenherzen
fühlen!
1469Habent sua fata libelli! Das mußte
auch Malczewski's Maria erfahren. Ungunst
und Übergunst mußten sich erst erschöpfen, ehe
ein gesundes Urteil die Vorzüge und die
Schwächen der Dichtung unparteiisch wog.
Sie war kaum veröffentlicht, als auch schon
die sog. klassische Schule (die, beiläufig gesagt,
ganz unter französischem Einflusse stand
und deren beengende Schranken von Mickiewicz
und Malczewski glücklich durchbrochen
wurden, indem diese das Banner der nationalen
Poesie auspflanzten) die schärfsten Pfeile
der Kritik gegen sie richtete. In welcher Weise
dies geschah, erzählt Graf R. Załuski im
Feuilleton des Czas (Nr. 68 v. 21. März 1856):
„Als vor dreißig Jahren Malczewski's Dichtung
zum ersten Mal im Drucke erschien, lenkte
kein einziges Zeitungsblatt Warschau’s die
Aufmerksamkeit daraus. Selbst der Courier,
der im Dithyrambenstil das Erscheinen des
unbedeutendsten Geschmieres ankündigte, beliebte
damals nicht auch nur zu erwähnen, daß
die polnische Literatur um ein neues Meisterwerk
reicher geworden sei. Maria befand
sich zwar in den Händen des Publikums, aber
da man nichts zu ihrem Ruhme sagte, so hatte
Niemand den Mut, sie näher anzusehen. Ich
erinnere mich noch selbst, wie ich, da mir, als
Studenten, die Dichtung Malczewski’s aus einige
Tage in die Hände fiel, einige Blätter gleichgültigen
Blicks durchlief, weil ich die Woche
vorher mit eigenen Ohren hatte hören müssen,
wie Osiński — das Orakel der polnischen Literatur
— die ersten zwei Verszeilen witzelnd
abfertigte. Augenscheinlich hatte Osiński die
Maria in der Hand gehabt, aber ich bin gewiß,
daß er, nachdem er den Anfang mit Achselzucken
durchgelesen, gelächelt und das ganze
Werk für ewig verdammt hat. Zum Glück
hat die Nachwelt sein Urteil nicht bestätigt,
und nach einigen Jahren der Vergessenheit
kam die Stunde der Gerechtigkeit.” Diese
Stunde schlug leider erst nach dem Tode des
Dichters. Grabowski und Mochnacki waren
die Ersten, die dem Werke Bahn brachen, aber
sie gaben zugleich den Impuls zu übertriebenem
Lobe, das nun alles schön und gut fand
von Anfang bis zu Ende. Seitdem hat sich
das Urteil geklärt, und kein gebildeter Pole
ist mehr blind für die Vorzüge, wie für die
Fehler dieser Dichtung. Hören wir noch zum
Belege dafür das Urteil späterer polnischer
Kritiker! Graf Józef Załuski sagt: „Ich war
einer der Ersten, welche die Maria lasen.
Der Eindruck, den sie damals auf mich machte,
war ein schmerzlicher, weil ich in ihr zwar
das Produkt eines schönen Talents erkannte,
ein Produkt aber, das zu wenig gefeilt und
durchgearbeitet, dessen Veröffentlichung daher
verfrüht war; und dies ist auch heute
noch meine Meinung.” Turowski, der den
Reigen der Bibliotheka Polska mit der Maria
eröffnet, sagt: „Ist auch Malczewski’s
Sprache nicht mustergültig politisch, so kann
die Dichtung selbst, zwar nicht was Plan und
Entwickelung anbelangt, doch in Bezug auf
Begeisterung und Schwung als Muster aufgestellt
werden, wenn es in dieser Beziehung
in der Poesie überhaupt Muster gibt.” Ein
anderes Urtheil lautet: „Nach allem dem kann
man wohl mit Recht die Maria zu denjenigen
Werken zählen, die, wenn sie auch nicht
vollkommen national sind, uns doch der Idee
eines echt polnischen Nationalwerkes um einen
großen Schritt näher gebracht haben.”
Diese sich gegenseitig ergänzenden Urteile sprechen
wohl ziemlich das Richtige aus und mögen
mich einer tiefer eingehenden Kritik, der
hier nicht Raum gegeben werden kann, überheben.
1470Somit übergebe ich dem Publikum meine
Übersetzung mit dem Wunsche, dieselbe möge
bei meinen Landsleuten wie bei den Polen
selbst mehr Anerkennung und Verbreitung finden,
als die von C. R. Vogel versuchte Übertragung
gefunden hat und — finden konnte.
Als erster Versuch war diese immerhin dankenswert,
zeigt jedoch so viele Unrichtigkeiten,
hin und wieder einen so auffallenden Mangel
an Verständnis, eine solche Willkür in der
Wiedergabe vieler Verse, die in Form und
Inhalt dem Übersetzer Schwierigkeiten boten, daß
Malczewski sie schwerlich anerkannt haben
würde, wenn er sie gekannt hätte. Allerdings
war die Arbeit nicht gering, die Vogel übernommen,
die Aufgabe nicht leicht, deren Lösung
ich nach ihm versucht habe. Die Polen
selbst halten die Maria für eine der schwierigsten
Dichtungen ihrer Literatur, und nicht
mit Unrecht. Es würde mich herzlich freuen,
wenn ich durch meine Arbeit sprachbeflissenen
Deutschen und Polen einen Dienst geleistet
und zu einem allgemeinen Verständnisse und
Genusse der Dichtung einen Baustein geliefert
hätte. Möge, was Studium und Liebe geschaffen,
auch von beiden wieder als werte,
willkommene Gabe aufgenommen werden!
Biała am 18. Mai 1856
Ernst Schroll
Leben des Anton Malczewski
Die Flut der Leidenschaft, sie stürmt vergebens
Ans unbezwungne feste Land:
Sie wirft poetische Perlen an den Strand,
Und das ist schon Gewinn des Lebens.
Goethe
1471Malczewski hat bisher noch keinen Biographen
gefunden, der die zahlreichen in den verschiedenen
Ausgaben der Maria und in Zeitschriften
zerstreuten Materialien gesammelt,
durch mündliche Nachforschungen ergänzt und
berichtigt und auf Grund dieser Vorarbeiten
eine Lebensgeschichte geliefert hätte, deren Angaben
vollständig wären, deren Tatsächliches
unbestritten erschiene. Was den Landsleuten
des Dichters noch nicht glückte, kann von dem
entfernt vom Schauplatz seines Lebens wohnenden
deutschen Übersetzer füglich nicht gefordert
werden. Ich glaube genug getan zu
haben, wenn ich alle mir zu Gebote stehenden
Quellen sorgfältig benützte und auch die
kleinste Notiz über Malczewski nicht unberücksichtigt
ließ, falls sie mir nach gewissenhafter
Prüfung geeignet schien eine Lücke auszufüllen,
eine Dunkelheit zu lichten. Das Meiste
verdanke ich der Arbeit Bielowski's; nächst
dieser sind mir Goszczyński und K. G.'s Mitteilungen
(Czas, Nr. 68, 21. März 1856)
wesentliche Beihilfen gewesen.
1472Anton Malczewski, um das Jahr 1792
in Volhynien geboren, war der ältere Sohn
Johann Malczewski's, Generals im polnischen
und später im russischen Heere, und dessen
Gattin Konstancja von Błeszyński. Beide
stammten aus angesehenem Geschlechte, dem
die Besitzungen Radziwill, Miropol, Kniahinin,
Chodzcza und noch andere gehörten, die
aber später in fremde Hände übergingen, so
daß schon Anton nur im Besitze eines kleinen
Vermögens war. Seine Kinderjahre verlebte
er in Dubno, wo seine Eltern wohnten oder
sich doch am häufigsten aufhielten, und hier
genoß er unter Leitung von Hauslehrern die
erste Erziehung in fremdländischem Geiste, dem
Seitens der höheren Stände in übertriebener
Weise gehuldigt wurde; woher es auch kam, daß
er fertig Französisch sprach und schrieb, während
er das Polnische erst später erlernte.
Damals war durch die Pflege des berühmten
Tadeusz Czacki, eines um das Schulwesen Polens
hochverdienten Mannes, die Schule zu Krzemieniec
im Aufblühen. Ob nun aus dem
Grunde, weil Czacki mit der Familie Malczewski
in freundschaftlichem Verhältnisse lebte,
oder aus irgend einem andern, genug, Anton
empfing seine weitere Ausbildung bis zur
Beendigung seiner Studien in Krzemieniec,
wo er bei Józef Czech die Mathematik hörte
und in ihr, so wie im Zeichnen, bedeutende
Fortschritte machte. Er leuchtete durch hohe
Geistesfähigkeit und rastlose Lernbegierde unter
allen Andern hervor, und Czacki erkor
ihn zu seinem Liebling. Die besondere Liebe
dieses Mannes zum Vaterlande und zu den
Wissenschaften, so wie die religiöse Schwärmerei,
welche vorzüglich gegen Ende seines Lebens
hervortrat, spiegelten sich — letztere allerdings
erst in späteren Jahren — lebhaft in
Malczewski ab.
1473Die Ereignisse des Jahres 1811 riefen
Malczewski unter die Fahnen des Vaterlandes.
Der aufbrausende Jüngling, welcher Schule
und Eltern unbedenklich verließ, mußte sich
zwar gleichzeitig auch von Anna, der Tochter
seines Oheims, der ersten schwärmerischen Liebe
seines Herzens, trennen; allein er schmeichelte
sich mit der Hoffnung, die Schwierigkeiten,
die aus der Ungleichheit der Vermögensumstände
entsprangen, zu beseitigen und
aus dem Wege des Verdienstes die Hand
Anna's zu erhalten. Wie viele Gründe hatte
er nicht, sich der neuen Laufbahn mit ganzer
Seele hinzugeben! Die mathematischen Kenntnisse,
die er sich in Krzemieniec erworben, waren
ihm jetzt von wesentlichem Nutzen, und
es ist leicht glaublich, daß er im Verlauf dieser
Jahre sich als ein fähiger Ingenieur-Offizier
unter dem Obersten Malet, dem späteren
General Malecki, hervortat; es scheint
sogar, daß er in den betreffenden Fachwissenschaften
sich als Schriftsteller versucht habe.
Sehr anziehend schildert Graf Roman Załuski,
Malczewski’s Kriegsgefährte und Freund,
des Dichters Leben und Persönlichkeit in dieser
Periode: „Malczewski kam im Jahre
1812 nach Warschau. Bei einem ungemeinen
Fonds von Kenntnissen — denn er tat sich
ebenso in den strengen Wissenschaften, wie in
literarischen Studien hervor — besaß Malczewski
einen scharfen Verstand, lebhaften
Witz, fröhlichen und geselligen Humor; und
da er überdies, wie man zu sagen pflegt, ein
hübscher Junge war, so nahmen die Warschauer
Salons den jungen Offizier mit offenen
Armen auf. Malczewski war von mittlerer
Statur, aber von wunderbarem Ebenmaß
des Körpers. Er hatte ein längliches
Gesicht, eine leicht gebogene Adlernase, einen
lächelnden Mund, eine hohe Stirn, weiße Gesichtsfarbe,
dunkelblonde Haare und fast saphirblaue
Augen von eigentümlich magnetischer
Anziehungskraft. Der Verfasser der Maria
besaß Alles, worauf die Welt Wert legt,
Verstand, Witz, Jugend, Schönheit und Vermögen;
denn obwohl sein Vater nicht eben
reich war, so versorgte doch sein kinderloser
Onkel, der General Malczewski — wohl ein
anderer, als Anna's Vater — den vielgeliebten
Neffen reichlich mit Geld. Ein wahrhaftes
Glückskind, warf sich Anton mit dem ganzen
Feuer jugendlichen Leichtsinns in den verführerischen
Wirbel der hohen Kreise der
Hauptstadt. Von da an ist das Leben Malczewski's
ein fortwährender Roman: die Liebe
weicht nicht mehr von ihm, bis sich über ihm
der Sargesdeckel schließt.” — Im Jahre 1813
war er Adjutant bei dem General Kossecki
und stand zu Modlin in Garnison, welche
Festung vom russischen General Paskiewicz
belagert wurde. Nach erfolgter Kapitulation
kehrte er nach Warschau zurück. Darauf trat
er in die neu errichtete polnische Armee, und
wir finden ihn im Gefolge des Kaisers Alexander
I. In diese Periode fällt das Duell
mit seinem Freunde Błędowski, zu welchem
ein Scherz desselben über die Liebschaften des
Freundes Veranlassung gab. Dieses Duell
machte damals viel Aufsehen. Malczewski,
am Fuße verwundet und für den Augenblick
dienstunfähig, zudem mißvergnügt über die rigoristische
Strenge des Dienstes, bat um unbestimmten
Urlaub, verkaufte, als er ihn erhalten,
sein Erbgut, bezahlte seine Schulden
und begab sich mit dem Rest seines Vermögens
auf die Rundreise durch Europa.
1474Hiermit beginnt die dritte Periode seines
Lebens vom Jahre 1816-21. Sein Gemüt,
erschüttert durch die Täuschungen in
Bezug auf den Ausgang sowohl der persönlichen
schwärmerischen Erwartungen — Anna
hatte einem Andern die Hand gereicht — als
auch der Hoffnungen des Volkes, suchte Zerstreuung.
Die Schweiz, Italien, Frankreich
fesselten ihn; am längsten verweilte er, und
zwar über ein Jahr, in Neapel im Hause des Fürsten
Jabłonowski, der damals östreichischer Gesandter
war. All die Orte und Ereignisse aber, die
jetzt seine Bewunderung in Anspruch nahmen,
konnten aus seiner Seele einen zaubervollen
Gegenstand nicht verdrängen — die Geschichte
und das Land der Heimat, die er in jüngeren
und glücklicheren Jahren kennen gelernt hatte.
Zu der wilden Erhabenheit der Alpengipfel,
zu dem stillen Frieden ihrer Täler trat das
ausgedehnte Steppenland der Ukraine, das der
Wind dem Steppenrosse gleich durchtanzt, in
einen wunderbaren Gegensatz. Natur wie Geschichte
bedürfen ja stets, um ihre Reize zu
offenbaren, einer verhältnismäßigen Entfernung,
einer Perspektive. Die Empfindungen,
deren er im Verlaufe dieser Zeit inne wurde,
waren die Fruchtkeime der Schönheiten, die
in der Maria ihre Blüte entfalteten. Ein
schätzenswertes Andenken dieser Periode ist
der Brief an den Professor Pictet in Genf
über seine Ersteigung des Montblanc; derselbe
war in der Bibliothèque universelle
in französischer Sprache erschienen. Auch fallen
in diese Zeit seine ersten schriftstellerischen
Versuche: kleine — Erzählungen in Prosa, desgleichen
Gedichte, poetische Episteln nach dem
Muster Krasicki's, der Warschauer Carneval
(eine Satyre) und einige Akte einer unvollendeten
Tragödie Helena, die indes an poetischem
Werte alle hinter der Maria zurückstehen.
Die lange Trennung von seinem Vaterlande
weckte in ihm eine leidenschaftliche
Sehnsucht nach demselben und, des schwelgerischen,
geräuschvollen Lebens der großen Welt,
dem er allzusehr gehuldigt hatte, überdrüssig,
hoffte er in ländlicher Zurückgezogenheit Befriedigung
und Muße zu poetischem Schaffen
zu finden. So kehrte Malczewski um das
Jahr 1821 in mehr als einer Beziehung verändert
nach Warschau zurück. Sein Oheim,
der General Malczewski, war unterdessen gestorben
und hatte ihn zum Erben eingesetzt;
aber statt der gehofften Million bekam er kaum
einige Tausend Gulden. Er ergab sich mit
Resignation in seine neue Lage und übernahm
eine Pachtung in Volhynien, wo er sich mit
Landwirtschaft und literarischen Arbeiten beschäftigte.
Hier schuf er zum größten Teil
die Maria und hier beginnt die letzte Episode
seines Lebens, jene Liebe voll Fatalismus und
Mystizismus, die ein der Feder eines Hoffmann
würdiger Vorwurf wäre. Während er
nämlich an der Maria arbeitete, besuchte er
einen Verwandten, den Unter-Richter Ruciński.
Er trifft den Wirt ganz in Bestürzung
und hört im Nebenzimmer krampfhaftes Schreien.
Ruciński bittet ihn um Entschuldigung
seiner gepreßten Stimmung und erzählt ihm
in wenigen Worten, daß seine Frau an einer
jeder Kunst des Arztes Hohn sprechenden Nervenkrankheit
darniederliege. Als das Stöhnen
heftiger wird, verläßt der Gemahl den Gast
und eilt der Kranken zu Hilfe. Malczewski,
wie von einem fatalistischen Zuge hingerissen,
geht ihm nach, aber kaum hat er die Türschwelle
überschritten, als plötzlich das Schreien
verstummt und das leidende Weib geschlossenen
Auges mit süßer Stimme ruft: „Ach,
wie wohl ist mir! mein Engel ist zu mir gekommen!”
Diese Worte erschütterten Malczewski's
ganze Seele und — entschieden über
sein künftiges Geschick. Malczewski glaubte
fest an Mesmerismus und Magnetismus. Mit
Hilfe jener unerklärlichen, oft geleugneten und
doch durch den Erfolg bewährten Mittel heilte
er in einigen Wochen seine Verwandte, welche
sich bis zum Wahnsinn in ihn verliebte. Malczewski,
um den ehelichen Frieden nicht zu
stören, entfernte sich nächtlicher Weile und
kehrte nach Hause zurück. Die Unglückselige
aber verließ Mann und Kinder, erschien plötzlich
während eines kalten Winters unter seinem
Dache und wollte trotz Bitten und Vorstellungen
nicht zurückreisen. Malczewski gab
zuletzt nach. Sie blieben vereint und übersiedelten
später nach Warschau, um die Scheidung
der Entflohenen, welche sie in Volhynien
nicht erlangen konnten, hier zu bewirken.
Als Graf R. Załuski nach achtjähriger Trennung
Malczewski zu jener Zeit in Warschau
traf, erkannte er ihn kaum; so hatte er sich
verändert! Krankheit und vielleicht auch Kummer
hatten den Glanz des einst so schönen
Gesichts verdunkelt, und Mangel, an Elend
grenzend, war selbst in der Kleidung des ehemaligen
Elegant der Warschauer Salons zu
bemerken. Dieser Anblick ergriff das Herz
des Freundes: er reichte dem armen Kameraden
die helfende Hand, und auf seine Verwendung
gab General Kossecki, damals Staatsministerial-Sekretär,
dem Graf Załuski die
Lage seines früheren Adjutanten schilderte, sogleich
eine Stelle im Ministerium des Innern
mit dem Gehalte von 6000 polnischen Gulden.
Malczewski fing an sich seinen Berufspflichten
zu widmen; leider nicht für lange.
Seine Gefährtin konnte die tägliche mehrstündige
Abwesenheit des Geliebten nicht ertragen;
sie quälte ihn dergestalt mit Klagen und
verfiel in so schreckliche Krämpfe, so oft er
von Hause ins Bureau ging, daß der unglückliche
Mann seinen Broterwerb aufgab, um —
für sie im Elend zu leben und zu sterben!
Für all' die heißblutigen Jugendstreiche, zu
denen ihn die Liebe getrieben hatte, büßte
Malczewski bitter und schwer in und mit dieser
letzten Liebe. Was für Szenen sich dort
in der ärmlichen Wohnung eines Paares, das
von einer Seite wohl nur krampfhafte Leidenschaft,
von der andern vielleicht nur Abspannung
oder Mitleid zusammenhielt, ist Geheimnis
geblieben. Man kann indes, besonders
im zweiten Gesange der Maria — die Malczewski
in Warschau beendigte und einige
Monate vor seinem Tode drucken ließ — einen
Widerhall jenes schweren Grames finden
(Vers 927 oder in der Klage des Knäbleins
V. 665 ff). O, wie oft wollte vielleicht der
arme Malczewski in jenen Augenblicken des
Leidens der Verzweiflung entfliehen, und mußte
doch den herben Kelch bis auf den Boden
leeren! — Er starb den 2. Mai 1826. Ein
schmerzvolles, krebsartiges Lungenübel hatte
seinen Tod herbeigeführt.
1475Polen, sagt Goszczyński, heute voll von
seinem Ruhm, sah dieses Licht nicht verlöschen!
Kann man ihm deshalb zürnen? —
Unter allen Warschauer Tagesblättern fand
sich kaum ein Organ zur Veröffentlichung
dieses Ereignisses. Der einzige Denkstein ist
folgende Bekanntmachung im Warschauer Kurier
v. 5. Mai 1826:
1476„Die hier anwesenden Freunde des Herrn
Anton Malczewski seligen Andenkens waren
bei der Beerdigung seiner sterblichen Überreste
auf dem Powązki'schen Friedhofe versammelt,
um ihm den letzten christlichen Liebesdienst
zu erweisen.”